Subversiv, kritisch und aufregend
Inke Arns / Dieter Daniels: Sounds like Silence. Cage / 4’33’’ / Stille. 1912 — 1952 — 2012.
Deutschlandradio Kultur, Fr 24.08.12, 0.05 bis 0.55 Uhr
Dieser Tage jähren sich gleich drei Jubiläen: der 100. Geburtstag von John Cage am 5. September, sein 20. Todestag am 12. August und der 60. Jahrestag der Uraufführung seiner berühmtesten Komposition: der dreisätzigen Generalpause „4’33’’“, die am 29. August 1952 ihre Premiere hatte. Mit ihrem Feature „Sounds like Silence“ haben die Kuratorin Inke Arns und der Medientheoretiker und Kunsthistoriker Dieter Daniels die von ihnen konzipierte gleichnamige Ausstellung im Hartware MedienKunstVerein Dortmund (HMKV) eröffnet. Wohl auch deshalb ist ihre Sendung Stück in insgesamt sechs „Räume“ unterteilt.
Der erste „Raum“, „Stille mit Ansage“ betitelt, beginnt mit dem schönen Satz: „Bezeichnenderweise wird die Aufführung von Cages Komposition »4’33’’« oft mit viel Lärm angekündigt.“ Denn Stille ist ein Differenzphänomen oder, wie es Cage später selbst sagte: „There is no such thing as silence.“ Nicht einmal das digitale Nichts, das Rafael Jové in seinem Hörspiel „Das Radio ist nicht Sibirien“ als Edelstille aus dem Großen Sendesaal des Dänischen Rundfunks in Kopenhagen ausgegeben hat (vgl. FK 21-22/12), füllte den Hörraum mit Stille, sondern hob nur die Geräusche in der Umgebung des Radios hervor.
Wie bedeutungsvoll Stille sein kann, wissen Leser und Hörspielhörer aus Heinrich Bölls Erzählung „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ (Print 1955, Film 1964, Hörspielfassung 1987!), in der sich Herr Dr. Murke von einer schönen Frau nur ein Band beschweigen lässt – was die als beinahe unsittlichen Angriff betrachtet. Martin Conrads’ Stück „Dr. M.s gesammeltes Schweigen“ (2010) hat ebenso mit Vorwürfen der Unsittlichkeit zu tun. Aus einer Radiopredigt des umstrittenen Bischofs Dr. Walter Mixa zum Thema Nächstenliebe entfernte Conrads jeglichen gesprochenen Text – eine künstlerische Realisation und ein bissiger Kommentar auf jene „Zeit des Schweigens“, die der Papst dem Augsburger Bischof nach dessen Rücktritt auferlegt hatte. Ein ähnliches Verfahren hatte schon 2003 der amerikanische Künstler Matt Rogalsky angewandt, als er die 13-minütige Rede, in der US-Präsident George W. Bush dem irakischen Diktator Saddam Hussein sein Ultimatum stellte, auf „Two Minutes Fifty Seconds Silence (for the USA)“ kondensierte. Inke Arns und Dieter Daniels nennen dieses Stück, das als Klangereignisse nur den dumpf-schlagenden Nachhall von Bushs Worten enthält, „ein Destillat“ seiner Rede.
Der größte Teil ihres Features widmet sich nicht vorgefundenem stillen Material, sondern durchkomponierter oder zumindest konzeptuell durchdachter Stille. Der Begriff, den John Cage von der Stille gehabt habe, sei immer „eng mit Fragen von Präsenz und Liveness“ verbunden gewesen, so die beiden Autoren, was Aufnahmen der „4’33’’“ (von denen es über 50 auf Tonträgern gibt) problematisch macht. Soll es um die Aufnahmesituation oder um das Aufzunehmende gehen, um die Stille davor oder die danach? Was soll wie aufgenommen werden, mit wem und in welcher Besetzung? Eine 4’33’’ gibt es beispielsweise für Saxophon-Trio, und zwar in einer Studio- und einer Open-Window-Version. Britische Musiker wollten in einer „Cage against the machine“ benannten Aktion das Stück zum Weihnachtshit 2010 machen und haben es immerhin auf Platz 21 der UK-Charts geschafft.
Während die einen mit Stille gegen das Weihnachtsgedudel vorgehen wollen, untersuchen andere das Verhältnis von Leere und Stille, wie zum Beispiel der dänische Klangkünstler Jacob Kirkegaard, der in seinem Stück „Speculum speculi“ mittels Rückkopplungsschleifen aus leeren Hörfunkstudios einen Angriff auf die Biomechanik im Ohr seiner Hörer startete (vgl. FK 50/09). Doch auch die Methode der maximalen Verstärkung hat Cage schon vorgedacht – in seiner Komposition „4’33’’ (No. 2) (0’00’’)“ aus dem Jahr 1962.
Nachdem man in 50 Minuten die sechs „Räume“ des Features – „Stille mit Ansage“, „Stille Aufführungen“, „Stille im Rundfunk“, „Stille aufnehmen“, „Stille intermedial“ und „Verkörperte Stille“ – durchschritten hat, hat man erfahren, wie variantenreich die künstlerische Auseinandersetzung mit der Stille sein kann. Was „wie Stille klingt“ – so eine der möglichen Übersetzungen des Titels „Sounds like Silence“ –, kann paradoxerweise ganz schön laut sein, und selbst wenn es sich um – die andere mögliche Übersetzung – „Klänge wie Stille“ handelt, können die alles andere als wichtigtuerische Pausen sein, sondern durchaus subversiv, kritisch und aufregend humorvoll. Eigentlich biete die Stille Stoff für eine ganze lange Radionacht, wäre da nicht der Horror vacui des Radios – in der Stille einfach zu verschwinden. Doch da braucht das Radio sich keine Sorgen zu machen. Wie sagt John Cage zum Abschluss des Features: „What we require is silence. But what silence requires is that I go on talking.“
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 36/2012
P.S. Das Stück kann und sollte man bei Grünrekorder auf käuflich erwerben. Dort gibt es auch eine ausführlich Tracklist mit Soundbeispiele und ein Fülle von Rezensionen.
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