Sterne, die Kartoffeln klauen
Eine Sonne, die ihre Kinder zu Tode kochen will und Sternenmädchen, die es auf Kartoffeln abgesehen haben: In „Sternenhimmel der Menschheit“ erzählt Raoul Schrott Schöpfungsmythen und Sternengeschichten von den Inka bis zu den Inuit.
Raoul Schrott: Sternenhimmel der Menschheit
Bayern 2, So, 27.07.2025, 15.05 bis 16.34 Uhr
Wenn sie in den Sternenhimmel schauen, werden selbst Astrophysiker gerne poetisch – egal, ob sie Carl Sagan, Harald Lesch oder Sibylle Anderl heißen. Letztere ist jetzt zusammen mit dem Schriftsteller Raoul Schrott im 90-minütigen Hörspiel „Sternenhimmel der Menschheit“ zu hören. Schrott hat Ende 2024 einen umfangreichen und schwergewichtigen „Atlas der Sternenhimmel und Schöpfungsmythen“ herausgebracht, für den man schon einen besonders stabilen Coffee Table braucht. Außerdem gibt es eine umfangreiche Website der Stiftung Kunst und Natur (und hier ein ausführliches Interview auf Deutschlandfunk Kultur).
In der Bearbeitung und Regie von Katja Langenbach erfährt man, dass die Sterne und deren Konstellationen von verschiedenen Kulturen in überraschend übereinstimmende Bilder gefasst wurden. Mythensammler Raoul Schrott erzählt von ähnlichen Vorstellungen der Berber in Nordafrika, der Ureinwohner am Fuße der Anden und der Bewohner der pazifischen Cook-Inseln, obwohl es nie einen Kulturkontakt zwischen diesen Gruppen gegeben habe. Woran das liegt?
Schrott hält das für ein Erbe der Menschheit, die seit Entstehen der Gründerpopulation des Homo sapiens vor rund 80.000 Jahren von Ostafrika aus den Planeten erobert hat. Dabei geht es um die kalendarische wie die räumliche Orientierung, die die Gestirne erlauben und die dabei zuverlässiger sind als Sonne und Mond.
Gleicher Weltschöpfungs-Mythos
Doch auch jenseits der funktionalen Nutzbarkeit stellt Schrott fest, dass es „bei all diesen [17] Sternenhimmel-Kulturen, die ich jetzt da recherchiert habe, immer einen Weltschöpfungsmythos gibt, der komplett gleich ist.“ Dabei sieht er „eine wirklich überraschend rekonstruierbare Ikonographie, die man da für jede Kultur herausarbeiten kann.“ Aus wahrnehmungspsychologischen Gründen ist das nicht überraschend, da sich aus dem „passiven Herauslesen“, was nichts anderes als das Identifizieren von Mustern ist, ähnliche Vorstellungen ergeben.
Interessant wird es aber da, wo diese Mustererkennungen kulturell überformt werden. Im Hörspiel werden verschiedene außereuropäische Mythen – von den Mayas über die Inkas bis zu den Inuit, von den Arabern bis zu den Chinesen – nebeneinandergestellt. Schrott konstatiert, dass diese poetische Fantasie ihm fast den Glauben an die Menschheit zurückgegeben hätte. Dabei sind einige der mythischen Geschichten ziemlich gewalttätig.
Da werden bei einem Papageien, einem arroganten Siebenara, der bei den Mayas die Sternengruppe vertritt, die bei uns „Der große Wagen“ genannt wird, die Zähne und die Augen ausgerissen. Ebenfalls bei den Mayas versucht die Sonne – dort männlichen Geschlechts – mehrfach ein Zwillingspaar in einer Schwitzhütte „zu Tode zu kochen“, um nach drei erfolglosen Versuchen einzugestehen, dass sie wohl doch ihre Kinder sein könnten.
Die Erdäpfel-Diebin
Besonders hübsch und weniger brutal ist die Geschichte vom Jungen und dem Sternenmädchen. Der Junge wird von seinen Eltern zur Bewachung ihres Kartoffelfeldes geschickt, auf dem Nacht für Nacht die besten Erdäpfel gestohlen werden. Nach einigen Fehlschlägen gelingt es dem Jungen, einen der Diebe zu fassen. Es ist ein Sternenmädchen, das er heiraten will. Nach einiger Zeit kehrt das Mädchen in den Himmel zurück und der Junge folgt ihr mit Hilfe eines Kondors. Doch auf dieser Verbindung liegt kein Segen und so kehrt der von seiner Sternenfrau verlassene Junge wieder auf die Erde und zu seinen Eltern zurück – nicht ohne zuvor im himmlischen Jungbrunnen gebadet zu haben.
Vincent zur Linden, Henriette Nagel, Steven Scharf und Cathrin Störmer erzählen die Geschichten, für die die Komponistin Ulrike Haage sphärische akustische Bilder gefunden hat. Worauf das Stück aber neben seiner lexikographischen Arbeit eigentlich hinauswill, bleibt ähnlich unklar, wie die Frage, was aus dem Kartoffelfeld geworden ist.
Vielleicht reicht es auch, sich bewusst zu werden, dass es jene Dimension gibt, die durch die heutige Lichtverschmutzung aus dem Blickfeld geraten ist. Der Respekt vor dieser Größe gebietet es, seine „humane Arroganz“ abzulegen. Denn es ist schließlich einzig und allein jener „pale blue dot“ (Carl Sagan), auf dem die Menschheit (über-)leben kann.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst 23.07.2025
siehe auch Stefan Fischer: Beatniks im Rathaus, SZ, 01,08,2025

Schreibe einen Kommentar zu Carsten Schneider Antwort abbrechen