Soziopathischer Narzissmus
Dunja Arnaszus: Menschentiere
RBB Kulturradio, So 26.08.2018, 14.05 bis 15.00 Uhr
Als Kommissar Michael Frank (Peter Lohmeyer) mit seiner 19-jährigen Tochter Maja (Lola Klamroth) in den Zoo geht, treffen sie zufällig auf einen Toten. Pollo, eine Berühmtheit mit 100.000 Followern, wurde hinterrücks erstochen. War es Mord? Keine einfache Frage, denn Pollo war eine Affe. Ein Affe, der gemalt hat und dessen Bilder bei Versteigerungen bis zu 20.000 Euro erzielten. Er solle ja behandelt worden sein wie ein Künstler, fragt der Kommissar Pollos Tierpfleger Edwin Sladek (Martin Seifert) und der antwortet lakonisch: „Keine Kohle, winzige Wohnung, so in der Art?“ Dunja Arnaszus weiß in ihrem neuen Hörspiel „Menschentiere“ ganz beiläufig Pointen zu setzen.
Ebenso beiläufig wird in dem 55-minütigen Stück die Frage „Was ist Kunst?“ gestellt. Noch vordinglicher ist hier allerdings eine andere Frage: „Was macht den Menschen zum Menschen?“ Für die Antwort eben darauf interessiert sich auch Schröder (Mirco Kreibich). Der ist ein beliebter YouTuber, der im Zoo zufällig auf Maja getroffen war, die bald zu seiner Managerin und zur Koautorin seines Videokanals wird. Schröder nun reist in den westafrikanischen Staat Nigeria, wo er in einer Forschungsstation nahe der Grenze zu Kamerun das Verhalten der Affen in ihrer natürlichen Umgebung beobachten will. In typischer YouTube-Flapsigkeit fragt er sich zum Beispiel, ob man denn Affen in Zukunft noch duzen dürfe.
Denn daheim in Deutschland hat Kommissar Frank der versoffenen Oberstaatsanwältin Regula Skander (Bettina Stucky) den Floh ins Ohr gesetzt, dass Pollo als Künstler eigentlich doch „Persönlichkeitsrechte für nicht-menschliche Bewusstseinsformen“ in Anspruch nehmen können müsste. [Trekkies kennen das Problem aus „Wem gehört Data?“, der neunten Folge der zweiten Staffel von „Star Trek — The Next Generation“.] Die Frau Staatsanwältin weiß natürlich, dass Affen keine Menschen, sondern als Mitgeschöpfe rechtlich Sachen sind, nimmt dann aber doch gerne die Gelegenheit wahr, Rechtsgeschichte zu schreiben. Sie initiiert einen Mordprozess gegen den Pfleger Sladek, der inzwischen bereits zugegeben hat, Pollo aus Notwehr getötet zu haben.
Die Entscheidung, welcher rechtliche Status den anderen Mitgliedern der Familie der Menschenartigen neben dem Homo sapiens zusteht, hat weitreichende Konsequenzen. Sollten sie nämlich über ähnliche Rechte verfügen wie der Mensch, dürfte man sie nicht mehr in medizinischen Versuchen schädigen, sie nicht mehr unter unwürdigen Bedingungen in Gefangenschaft halten oder ihre Lebensräume zerstören.
Leider wird diese Diskussion nur in dem Plädoyer der Staatsanwältin kurz angerissen. Die gewinnt den Prozess um die Tierrechte, allerdings kann Sladek wegen des Gesetzlichkeitsprinzips und des Analogieverbotes gemäß dem Grundsatz „nulla poena sine lege stricta“ nicht wegen eines Tötungsdeliktes verurteilt werden. Doch schon während der Untersuchungshaft hatte ihm die talentierte Kommissarstochter Maja seine Gemälde abgeluchst. War Sladek, der Pollo erst zum Malen gebracht hatte, doch selbst Künstler, der im Brotberuf Tiere pflegte. Jedenfalls so lange, bis ihm an seinem 50. Geburtstag klar wurde, dass er in die Existenz eines malenden Tierpflegers hineingescheitert war. Doch dank Majas manipulativen Talents gelten seine Werke jetzt als ‚MördArt‘ und formen zusammen mit den Werken Pollos das neue Genre des „soziopathischen Narzissmus“.
Wie gesagt: Pointen setzen kann Dunja Arnaszus, die in ihrem Hörspiel, einer Koproduktion von Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und Deutschlandfunk Kultur, auch selbst Regie geführt hat. Die akustischen Atmosphären und die Geräusche der Affen aus dem nigerianischen Regenwald in dem Stück stammen im Übrigen nicht aus Tonkonserven, sondern sind von der Autorin selbst in Nigeria aufgenommen worden. Ein bisschen schade ist nur, dass in ihrem handlungsreichen, amüsanten und von skurrilen Charakteren bevölkerten Hörspiel die Grundkonflikte relativ thesenhaft abgehandelt werden — das hätte man sich ausführlicher in einem dramatischen Kontext gewünscht. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: Gute Unterhaltung muss keinesfalls auf vorgeblich schwere Themen verzichten.
Jochen Meißner — Medienkorrespondenz 18/2018
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