Nettes Mädchen, Teufelskerl
Barbara Meerkötter: Big Girl Now! Klappe 1-16 für Niki de Saint Phalle
RBB Kulturradio, Fr 15.32013, 22.05 bis 23.00 Uhr
Man kennt sie von ihren manchmal begeh- oder sogar bewohnbaren Großskulpturen, den „Nanas“. Doch Niki de Saint Phalle (1930 bis 2002) war nicht nur Bildhauerin, sondern auch Aktionskünstlerin und Filmemacherin. Sie begann mit sogenannten Schießbildern – Reliefs mit eingearbeiteten Farbbeuteln, die sie mit Gewehrkugeln beschossen hat. Seit den Sechziger Jahren arbeitete sie mit ihrem späteren Ehemann, dem Schweizer Maschinenkünstler Jean Tinguely (1925 bis 1991) zusammen, mit dem sie 1976 den abendfüllenden Spielfilm „Un rêve plus long que la nuit“ („Ein Traum – länger als die Nacht“) drehte.
Dieser Film dient Barbara Meerkötter als Vorlage für ihr 55-minütiges Hörspiel „Big Girl Now! Klappe 1-16 für Niki de Saint Phalle“. Es ist nach „more or less untitled – Mit dem Ohr an Bildern von Cindy Sherman“ (WDR 2010) nun Meerkötters zweite Arbeit, die sich mit Werken einer Künstlerin beschäftigt. Genauer: mit den Geschichten hinter den Bildern, die sich aus ihrer Beschreibung oder Nacherzählung ergeben. Seien es die Geschichten hinter Fotos aus Cindy Shermans Serie „Murder Mystery People“ oder die hinter den Filmbildern von Niki de Saint Phalle.
16 (Film-)Klappen, deren Titel einem Gedicht von Niki de Saint Phalle entnommen sind (von „1. Hölle ist Geschichte“ bis „16. Ich bin das Eisauge“), gliedern das Hörspiel. Elisabeth Gebauer und Erik Bielohradsky haben ihre Augen und ihre (kopfhörerbewehrten) Ohren am Film und erzählen ihn synchron nach. Dazwischen sind immer wieder O-Töne von Niki de Saint Phalle, ihrem Mann Jean Tinguely und dessen Ex-Frau, der Künstlerin Eva Aeppli, geschnitten, aber auch viele nachgesprochene Texte mit Suzanne von Borsody als Niki, Ueli Jäggi als Jean Tinguely und Judith Hofmann als Eva Aeppli.
Die künstlerische Biografie der Niki de Saint Phalle (eigentlich: Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle) bewegt sich somit durch ein von der Filmstruktur vorgegebenes surreales Setting. Der Film, so Niki de Saint Phalle selbst, zeige, wie ein junges Mädchen in die Horrorwelt der Erwachsenen eingeführt werde. „Kunst ist das Verzerren einer unerträglichen Realität“ und „Kunst ist das Korrigieren“, formuliert Jean Tinguely seine ästhetische Maxime, die ähnlich auch für Niki gilt, die er für die größte Bildhauerin des 20. Jahrhunderts hielt und als „nettes Mädchen“ und zugleich als „Teufelskerl“ bezeichnete.
„Wer ist das Monster, du oder ich?“ Das ist die Frage, die Niki de Saint Phalle (auch sich selbst) stellt und die auch den Titel für Peter Schamonis filmische Hommage an die Künstlerin lieferte, aus der einige O-Töne im Hörspiel stammen. Ihre Kunst ist eine Transformation ihrer Ängste und Verletzungen – darunter ein verdrängter Missbrauch durch ihren Vater – in Kunstwerke.
Schon früh schlug der Wunsch, kein Mädchen mehr zu sein, in die Superweiblichkeit der monumentalen Nanas um, am gigantischsten wohl in der 1966 geschaffenen, 26 Meter langen begehbaren Skulptur „Hon“ (schwedisch für: „Sie“) in Stockholm mit einer Milchbar im Busen – und außerdem einer Flaschenzertrümmerungsmaschine von Jean Tinguely. Seine Maschinen, die nicht reibungslos funktionieren, sondern sich in einer starken und musikalischen Geräuschkulisse offenbaren sollten, dachte Tinguely immer auch von der Klangqualität her, die ebenso in ihre Gestaltung einbezogen werden sollte wie die plastische Form. Das trifft natürlich auch auf Barbara Meerkötters Stück zu, dessen aufwändige Klangestaltung von Katrin Schüler-Springorum dafür sorgt, dass man nie meint, einem biografischen Feature zuzuhören, sondern einem Hörspiel, dessen Protagonistin zwischen der realen Künstlerin Niki de Saint Phalle, ihr als Akteurin in ihrem Werk und der Hörspielfigur oszilliert.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 12/2013
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