Mit schlechtem Beispiel vorangehen
Regine Elbers: Blocked Under Ground
Bayern 2, Samstag, 20.01.2024, 15.05 bis 16.00 Uhr
Das erste Hörspiel der Radiogeschichte aus dem Jahr 1924 spielte in einem dunklen Bergwerk. Mit dem Katastrophenhörspiel „Blocked Under Ground“ nimmt Regine Elbers das Motiv auf und versucht sich an einem immersiven Hörspiel in Dolby-Atmos-Mischung.
Mit der Immersion ist das so eine Sache. „3-D-Audio“, „Dolby Surround 5.1“ und aktuell „Dolby Atmos“ sind die Techniken, mit denen das Eintauchen in fiktionale Welten ermöglicht werden soll. Hollywood investiert viel mehr Zeit und Geld in das Sounddesign ihrer Filme, als den meisten Kinogängern bewusst sein dürfte.
Zur Einweihung des neuen Hörspielstudios des Bayerischen Rundfunks (BR) am Standort Freimann hat man sich mit dem 55-minütigen Katastrophenhörspiel „Blocked Under Ground“ von Regine Elbers eine Produktion gegönnt, die in der Dolby-Atmos-Liga mithalten können soll. In der ARD-Audiothek steht das Stück in verschiedenen binauralen 3-D-Audio-Formaten auch für Android und iOS-Smartphones zur Verfügung, sofern die diesen Standard beherrschen.
So modern die technische Anbindung ist, so alt sind Thema und Setting. Das BBC-Hörspiel „A Comedy of Danger“ (deutsch: „Gefahr“) von Richard Hughes aus dem Jahr 1924 gilt als das erste Hörspiel der Radiogeschichte. Es spielt in einem Bergwerk, in dem das Licht ausgefallen ist. Eine schon damals eher kurzschlüssige Entscheidung, die das Optische zugunsten des Akustischen ausblenden wollte und zu einer Ästhetik der „Inneren Bühne“ führen sollte, die bis in die 1960er Jahre hinein tonangebend war.
In „Blocked Under Ground“ ist es kein Bergwerk, sondern ein U-Bahn-Tunnel nebst Wartungsraum, in dem es sehr dunkel ist. Weil aufgrund von Starkregen alle Brücken der Stadt gesperrt sind, ist ein zwielichtiger Bauunternehmer gezwungen, statt des Taxis die U-Bahn zum Flughafen zu nehmen. Die Bahn verunglückt aus ungeklärten Gründen. Eine Schicksalsgemeinschaft rettet sich in einen Wartungsraum zwischen den Tunnelröhren, während das Wasser zu steigen beginnt.
Der fiese Bauunternehmer Gernot (Stefan Merki) bricht auf eigene Faust auf, um sich zu retten, was ihm auch gelingt. Die restlichen Überlebenden (Caroline Ebner, Corinna Blädel, Zeyn Aly, Shenja Lacher und Christian Baumann) schwanken zwischen Angst und Panik. Ein paar werden mittels eines engen torpedoartigen Tauchboots gerettet, das Schicksal der anderen bleibt offen – und dann hört das Hörspiel ohne irgendeinen dramaturgisch motivierten Schluss einfach auf.
Motivationen sucht man in dem Stück, bei dem die Autorin selbst Regie geführt hat, sowieso vergebens. Nirgends wird einem auch ansatzweise klar, was hier eigentlich warum erzählt werden soll. Setting (Tunnel) und Genre (Katastrophenerzählung) sind klar. Einen Bösewicht gibt es auch, wobei völlig im Dunkeln bleibt, worin seine Bosheit besteht, außer dass er bei seinem Rettungsversuch ein anderes Opfer im Stich lässt. Von seiner Figur bleibt nur ein leeres Klischee. Das Stück bewirtschaftet als das trivialste Ressentiment, dass der Unsympath schon irgendwelchen Dreck am Stecken haben wird.
Doch genauso leer wie er sind auch die anderen Charaktere des Stückes. Frauenfiguren, die ängstlichen Small Talk praktizieren, wenn sie nicht hysterisch chargieren – wie in einem schlechten B-Movie. Das tun sie aber offenbar nicht aus Lust am Trash, sondern sie meinen das wirklich ernst, weshalb man sich hier vor Fremdscham am liebsten die Ohren zuhalten möchte. Aber das bringt nichts, denn auf denen sitzen ja die Kopfhörer, die man für das immersive Sounderlebnis braucht.
Ein weiterer ebenso schambehafteter Moment kommt, als ein anderes Opfer der U-Bahn-Katastrophe – ein Syrer aus Aleppo – mit der hörbar als unzumutbar markierten Frage „Wo kommst Du eigentlich her?“ konfrontiert wird. Ebenso wie die Ressentimentbewirtschaftung ist die Bekämpfung von Alltagsrassismus von einer derartigen gedanklichen Schlichtheit, die nur noch von der Bescheidenheit der Dialoge unterboten wird.
Gegen unpsychologische Figuren in Genrestücken ist prinzipiell überhaupt nichts einzuwenden, wenn man denn anderes zu erzählen hat. Dann sollten aber wenigstens die Genrekonventionen eingehalten (und bestenfalls überschritten) werden. Wobei ab und zu auch mal ein cooler Spruch rausgehauen werden darf. Sobald die Hörerschaft einmal in das Stück eingetaucht ist, ist Logik optional und man kann so ziemlich alles verkaufen. Aber wo weder die Figuren noch die Dialoge, noch die Struktur überzeugen, da hilft auch die aufwendigste Atmos-Mischung nichts.
Schon Hughes „Comedy of Danger“ gehörte nicht zu den Sternstunden des Hörspielgenres, aber bei der BBC haben sich seitdem die Techniken der Figurenzeichnung mit wenigen Sätzen und die des Storytellings enorm weiterentwickelt. Hörspielästhetisch gewinnt man damit zwar keine Innovationspreise, aber die Stücke funktionieren in der Regel als gute Unterhaltung. Bleibt zu hoffen, dass, wenn sich die Abläufe im neue Hörspielstudio des BR erst mal eingespielt haben, dort Stücke entstehen, die auch jenseits des Sounddesigns funktionieren.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 25.1.2024
Kritik von Cosima Lutz im epd medien.
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