Mit Irrationalismus gegen autoritäre Dogmatismen
zeitblom: Manifest 24 – Mono-Oper für KI, Stimme, elektronische Klangerzeugung und Streichquartett.
DLF, Sa, 24.08.2024, 20.05 bis 21.13 Uhr
Vor einhundert Jahren veröffentlichte André Breton das erste Manifest des Surrealismus. Der Komponist und Hörspielmacher zeitblom reagiert darauf – mit einer installativen Mono-Oper für KI, Stimme, elektronische Klangerzeugung und Streichquartett.
Wenn der Schauspieler Sabin Tambrea sich dem Text des surrealistischen Manifests von Andre Breton, das im Oktober vor 100 Jahren veröffentlicht wurde, annähert, geschieht das tastend, vorsichtig, fragend. Es geschieht mit Wiederholungen und Redundanzen: „Einzig das Wort Freiheit mag mich noch begeistern – noch begeistern – Freiheit – einzig das Wort Freiheit – mag mich – einzig – begeistern – noch begeistern“, lautet der erste Satz des 68-minütigen Hörspiels „Manifest 24“, den der Komponist und Hörspielmacher zeitblom (Georg Falk-Huber) für seine „Mono-Oper für KI, Stimme, elektronische Klangerzeugung und Streichquartett“ ausgewählt hat.
Mono-Oper hat dabei nichts mit der Einkanaligkeit des frühen monophonen Radios zu tun, sondern mit den auf eine Figur zentrierten Stücken, wie den Mono-Opern von Arnold Schönberg bis Francis Poulenc oder den Mono-Dramen von Samuel Beckett.
Dabei hat Tambreas Sprechhaltung so gar nichts vom aufrührerischen Geist, der spätestens seit dem „Futuristischen Manifest“ von Filippo Tommaso Marinetti aus dem Jahr 1909 der Gattung eingeschrieben ist. Und trotzdem lobt gleich der zweite Satz „die alte Flamme des Fanatismus“, die es für alle Zeiten zu erhalten und nicht leichtfertig zu vertun gelte.
Jenseits der ästhetischen Überlegung
Es folgt die Aufforderung, sich der Herrschaft der logischen Methoden zu entziehen. Denn die wende sich nur der Lösung zweitrangiger Probleme zu und vertraue auf die Kräfte reiner psychischer Automatismen, wie sie in der Allmacht des Traumes manifest werden. Dagegen sollten die Quellen der Imagination wieder in ihre alten Rechte eingesetzt, der Irrationalismus gegen autoritäre Dogmatismen in Stellung gebracht werden. Um den eigenen Denk-Diktaten ohne jede Kontrolle durch die Vernunft und jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung zu folgen.
Was hier schon klingt wie ein gegenaufklärerisches Programm, wird noch schlimmer: Die Vernunft soll auf die Probe gestellt werden, um die tiefsten, unentdeckten Bereiche des menschlichen Geistes ans Licht zu bringen. Die furchterregende Zahl der Begierden sollen im anarchischen Zustand gehalten werden. „Wir erklären die vollkommene Freiheit des Geistes als eine notwendige Voraussetzung für die Schaffung neuer und unendlicher Realitätsebenen“, heißt es später. Und wem das noch nicht reicht, den konfrontiert Breton mit seinem Credo: „Ich glaube an die zukünftige Auflösung dieser beiden scheinbar so widersprüchlichen Zustände Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluten Realität – einer Surrealität wenn man so will.“
Was als quasi kunstreligiöses Programm daherkommt, bei dem die Poesie den Trost gegenüber dem zu ertragenden Elend spendet, klingt mit heutigen Ohren, wie ein Programm zu Abschaffung einer gemeinsam erfahrbaren Realität. „Wir streben danach, das Unbekannte, das Absurde und das Unlogische zu einer Kunstform zu erheben, die die Struktur der Realität neu gestaltet“, heißt es im Manifest und wenn da nicht André Breton drunter stände, könnte man das Zitat auch Steve Bannon, dem ehemaligen Berater von Ex-Präsident Donald Trump, zuordnen.
Politik statt Ästhetik
Dass diese Art des Surrealismus, die die beiden „scheinbar so widersprüchlichen Zustände Traum und Wirklichkeit“ auflösen will, nicht im ästhetischen – sondern im politischen Raum so erfolgreich ist, hätte sich Breton wohl nicht träumen lassen.
Mit seinen fast meditativ anmutenden, KI-generierten Klangflächen bekommen die bretonschen Ungeheuerlichkeiten etwas subliminal Verführerisches. Und wie die an medial vermittelten Realitäten trainierten Künstlichen Intelligenzen beginnen auch die Sound-KIs zu halluzinieren, während ganz nebenbei die Grenze zwischen Elektronik und Streichquartett (Violine: Cigdem Tunçelli und Ayda Demirkan, Viola: Vagif Alekperov, Cello: Anastasiia Averianova) aufgelöst wird. Drone-Sounds machen das Stück zu einem eher installativen als erzählerischen Erlebnis, das auf ästhetischer Ebene einlöst, was auf inhaltlicher gefordert wird – eine Entgrenzung der Realitätsebenen.
„Manifest 24“ gehört zu den letzten von der Film- und Medienstiftung NRW geförderten Hörspielprojekten, bevor der neue Geschäftsführer Walid Nakschbandi die Hörspielförderung eingestellt und den Hörspielpreis der Kriegsblinden und den Deutschen Kinderhörspielpreis ausgesetzt hat und die Hörspielreferentin die Stiftung verlassen hat.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst 29.08.2024
Eva-Maria Lenz zum „Manifest 24“ im epd medien: Blaue Rosen
Schreibe einen Kommentar