Make America Florida

Tom Schimmeck: Auch Mickey Mouse soll schweigen – Amerikas Kulturkampf wird immer härter

SWR Kultur, Fr, 12.07.2024, 15.05 bis 16.00 Uhr

Wenn selbst der Disney-Konzern, der emblematisch für die USA steht, unamerikanischer Umtriebe verdächtigt wird, dann hat der Kulturkampf der Rechten eine neue Eskalationsstufe erreicht. Tom Schimmeck hat sich das für sein Feature „Auch Mickey Mouse soll schweigen“ mal genauer angesehen.

Sie nennen sich „Moms for Liberty“ und kämpfen für Zensur, sie führen das große Wort der Freiheit im Mund und schränken sie ein, wo sie wollen. Der US-Staat Florida, wo seit 2019 der republikanische Gouverneur Ron DeSantis regiert, ist das Testgelände für die Eroberung der Institutionen durch eine Partei. Der vielfach ausgezeichnete Radio-Autor Tom Schimmeck ist in die Heimat der Walt-Disney-World gefahren und hat sich für sein 54-minütiges Feature „Auch Mickey Mouse soll schweigen“ in den amerikanischen Kulturkampf gestürzt.

Es ist nicht das erste Feature, in dem sich Schimmeck mit Amerika auseinandersetzt. 2016 beschäftigte er sich mit den Koch-Brüdern und dem Wahlkampf in den USA („Was kostet die Demokratie“), 2020 mit der Radikalisierung der US-Demokratie („Wurzeln des Zorns“) und 2022 mit Wahlmanipulationen in den USA („Dirty Tricks der Demokratie“). Dazu kommt ein Feature über die libertäre Ikone Ayn Rand („Femme fatale fürs Kapital“) und mehrere Features über die Silicon-Valley-Ideologie und deren gesellschaftliche Implikationen.

Für sein neues Stück ist er ins Disneyland nach Orlando gefahren, das jedes Jahr mehr Touristen anzieht als Paris und das über den größten Leihwagenmarkt der Welt verfügt. Der Happy-Sound der Comicfiguren klingt nach den 1950er Jahren, die aber nicht nur in der Unterhaltungsindustrie wiederkehren. Auch der McCarthyismus feiert seine Wiederauferstehung. Nur sind es diesmal nicht die Kommunisten, die hinter jeder Ecke vermutet werden, sondern der sogenannte „Woke-Mob“.

Das Land nach autokratischen Maßstäben umbauen

Am 28. März 2022 unterstzeichnet Gouverneur Ron DeSantis das Gesetz 1557, das es verbietet, bis zur dritten Klasse jeden Unterrichts über sexuelle Orientierung zu sprechen. Jetzt sieht sich sogar der Disney-Konzern veranlasst, gegen die sogenannte „Don’t say gay“-Bill zu protestieren und sich wenigstens halbherzig mit den Gewerkschaften zu solidarisieren. Daraufhin droht DeSantis an, neben dem Freizeitpark ein Gefängnis zu errichten und entzieht später dem Konzern seine Privilegien als „self-governing institution“. Zu Recht, aber aus den falschen Gründen, wie eine demokratische Abgeordnete meint. Wie überhaupt der Kulturkampf als eine große Nebelwand dient, um das ganze Land nach autokratischen Maßstäben umzubauen.

Fünf der sieben Richter am Obersten Gerichtshof Floridas sind von DeSantis ernannt worden und auch Legislative und Exekutive sind fest in republikanischer Hand. Vom Bildungssystem sind 1,3 Milliarden Dollar in den privaten Sektor verschoben worden – plus 1 Milliarde an Steuerbegünstigungen für private Spender. Natürlich wird das als „Education Freedom“ und „Education Choice“ verkauft. Nur dass man kaum eine Wahl hat, wenn der öffentliche Sektor kaputtgespart wird und Lehrer persönlich verantwortlich gemacht werden, wenn sich ein christlich-fundamentalistischer Mob aufregt. Der Terminus dafür ist „Educational Initimidation“ – pädagogische Einschüchterung.

Tom Schimmeck hat Lehrern und einer Buchhändlerin gesprochen, die in ihrem Laden eine mit Flatterband abgetrennte Abteilung für „verbotene Bücher“ unterhält. Im April 2023 wurden 4349 neue Buchverbote gezählt, davon mehr als 3000 in Florida. „Das Tagebuch der Anne Frank“ gehört dazu, ebenso wie „Ich bin Malala“ der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai aus Afghanistan. Und natürlich darf George Orwells „1984“ auf der List dieser „banned books“ nicht fehlen.

Inszenierung des republikanischen Polittheaters

Zu Schimmecks Gesprächspartnern gehört auch eine republikanische Aktivistin, die früher bei Disney gearbeitet hat, jedoch wegen der Impfpflicht gekündigt hat. Die „medizinische Freiheit“, die Florida ausgerufen hat, ging jedoch nicht so weit, während der Covid-Pandemie die Zahlen der Toten zu veröffentlichen.

Wie man in Schimmecks Feature hören kann, wird die kognitive Dissonanz immer größer. Während im Namen der Freiheit der Gesellschaft immer mehr Freiheiten genommen werden, steigt die Erregungskurve beständig an. DeSantis befeuert sie zudem höchstpersönlich mit immer neuen Feindbildern. Offshore-Windparks? Verboten. Vorschriften zur effizienten Energienutzung? Gecancelt. Der Begriff „Klimawandel“ in Gesetzestexten? Gestrichen. Synthetisch gezüchtetes Fleisch? Nicht zugelassen. Abtreibungen? Ab der sechsten Woche verboten. Das Parlament in Floridas Hauptstadt Tallahassee, das nur einmal im Jahr für eine sechzigtägige Sitzungsperiode tagt, produziert solche Gesetze wie am Fließband. Und Ron DeSantis macht eine Show daraus, sie überall im Land zu unterzeichnen und verteilt dabei Stifte.

Die Inszenierungen des republikanischen Polittheaters sind so grob und stumpf, dass man sich nach den eskapistischen Märchen von Walt Disney zurücksehnt. Da waren wenigsten noch professionelle Storyteller am Werk und ein Happy End Pflicht. Doch schon in den 1950er Jahren wusste sich der Konzern zu arrangieren und auch heute will er sich lieber nicht in die Kulturkämpfe hineinziehen lassen – jedenfalls nicht, solange er seine Steuervorteile behält. Eine demokratische Abgeordnete spottet, das Disney doch DeSantis einstellen sollte, er sei ja so ein guter Schauspieler. So farbig Tom Schimmecks Feature in der Regie von Felicitas Ott auch klingt, so düster sind seine Perspektiven.

jochen Meißner – KNA Mediendienst, 18.07.2024

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