Lasst alle Hoffnung fahren
Bruno Latour: Kosmokoloss. Eine Tragikomödie über das Klima und den Erdball
Bayern 2, Fr 06.12.2013, 21.03 bis 22.07 Uhr
Er sei ein entsetzlicher Theaterautor, sagt der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour von sich selbst in einem längeren Interview im Anschluss an die Ursendung seines Theatertextes „Kosmokoloss“, den seine Übersetzerin Margit Rosen für die Hörspielrealisation bearbeitet hat. Eigentlich, so Latour weiter, hätte sein Ausflug in die politischen Künste ein Tanz oder eine Bewegung sein sollen, um sich der eigenen Position in Zeit und Raum zu vergewissern, denn das Theater sei weder seine Berufung noch sein Talent. Leider ist diese Aussage nicht nur Koketterie, und das können auch die Regieanstrengungen von Ulrich Lampen nicht ganz verdecken.
„Kosmokoloss“ handelt in vielen unverbundenen Szenen von der Erde, jenem System aus Rückkopplungsschleifen, dem der britische Chemiker und Biophysiker James Lovelock, der auch im O-Ton zu Wort kommt, den Namen „Gaia“ gegeben hat. Der Mensch, so Lovelocks These, hat dieses System klimatisch an seine Grenzen getrieben, so dass Gaia nun Rache nimmt, indem sie sich neu reguliert. Alles, was weniger als ein Kilo wiegt, wird überleben, sieben Achtel der Menschheit werden aussterben. Machen könne man da wenig, außer vielleicht den CO2-Ausstoß drastisch dadurch reduzieren, dass man in den nächsten zehn Jahren jeden Monat ein neues Atomkraftwerk in Betrieb nehme.
Die Bevölkerung in Latours Geschichte reagiert auf solche Prognosen paralysiert. Selbst Noah, der eine neue Arche bauen will, wird mit Misstrauen begegnet. Statt ihn zu fragen: „Wie viele wirst du retten?“, wird er gefragt: „Wie viele wirst du umbringen?“ Die polemische Umkehrung der Frage ist das Verdienst jener Spin-Doktoren, die die Sprache manipulieren und so mit kleinen Eingriffen große Wirkungen erzielen. Zwei Vertreter dieser Spezies lässt Latour auftreten: den amerikanischen Politikberater Frank Luntz und den ehemaligen französischen Forschungsminister Claude Allègre (bei Latour: Monsieur Joyeux), der „30 Prozent der Franzosen im Alleingang zu Klimaskeptikern gemacht hat“. Luntz hat für Begriff „Erderwärmung“ den viel harmloseren „Klimawandel“ erfunden – und die Erbschaftssteuer („estate tax“ oder „inheritance tax“) durch den Begriff „death tax“ ersetzt, weshalb sie plötzlich keiner mehr haben will. Worte wirken.
Aber die andere Seite ist auch nicht besser. Die hat unter dem Label „political correctness“ einen Gedankenpolizisten in ihre Hirne implantiert, der vielleicht die Schlachten auf Nebenkriegsschauplätzen gewinnt, während der Krieg um die Sache verlorengeht. Außerdem kann man den Effekt des mittlerweile fast eine Generation währenden ökologisch-apokalyptischen Alarmismus (angefangen beim Waldsterben) als flächendeckende Desensibilierungsstrategie interpretieren.
Gegenwärtig ist das sogenannte „Vorsorgeprinzip“ Angriffsziel der interessierten Lobbygruppen und ihrer Spin-Doktoren. Nach diesem verfassungsmäßig verankerten „principe de précaution“ darf ein Mangel an absoluter wissenschaftlicher Gewissheit nicht als Entschuldigung dafür dienen, Maßnahmen nicht zu ergreifen, die künftige Übel abwenden könnten. Die Abwehrmittel dagegen sind immer dieselben: Lenkung der Forschung, Delegitimierung unangenehmer Forschungsergebnisse, sprachliche Nebelkerzen und Umwertung der Begriffe. Das heißt, beabsichtigt ist die Verstärkung der kognitiven Dissonanz zwischen dem Wissen um die zerstörerische Kraft der Erderwärmung und der gleichzeitigen Passivität gegenüber diesem Phänomen.
Die Hoffnung, in Zukunft irgendwie da herauszukommen, garantiert dabei paradoxerweise, dass man genauso weitermacht wie bisher. Deshalb plädiert Latour konsequent dafür, die Hoffnung aufzugeben, um „im Horizont des Ereignisses“ zu sein (gegenwärtig also in Erwartung der Rache Gaias). Für Latour hat die Apokalypse also schon stattgefunden und wartet nur noch auf ihre Realisierung – auch das ein einfEr sei ein entsetzlicher Theaterautor, sagt der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour von sich selbst in einem längeren Interview im Anschluss an die Ursendung seines Theatertextes „Kosmokoloss“, den seine Übersetzerin Margit Rosen für die Hörspielrealisation bearbeitet hat. Eigentlich, so Latour weiter, hätte sein Ausflug in die politischen Künste ein Tanz oder eine Bewegung sein sollen, um sich der eigenen Position in Zeit und Raum zu vergewissern, denn das Theater sei weder seine Berufung noch sein Talent. Leider ist diese Aussage nicht nur Koketterie, und das können auch die Regieanstrengungen von Ulrich Lampen nicht ganz verdecken.
„Kosmokoloss“ handelt in vielen unverbundenen Szenen von der Erde, jenem System aus Rückkopplungsschleifen, dem der britische Chemiker und Biophysiker James Lovelock, der auch im O-Ton zu Wort kommt, den Namen „Gaia“ gegeben hat. Der Mensch, so Lovelocks These, hat dieses System klimatisch an seine Grenzen getrieben, so dass Gaia nun Rache nimmt, indem sie sich neu reguliert. Alles, was weniger als ein Kilo wiegt, wird überleben, sieben Achtel der Menschheit werden aussterben. Machen könne man da wenig, außer vielleicht den CO2-Ausstoß drastisch dadurch reduzieren, dass man in den nächsten zehn Jahren jeden Monat ein neues Atomkraftwerk in Betrieb nehme.
Die Bevölkerung in Latours Geschichte reagiert auf solche Prognosen paralysiert. Selbst Noah, der eine neue Arche bauen will, wird mit Misstrauen begegnet. Statt ihn zu fragen: „Wie viele wirst du retten?“, wird er gefragt: „Wie viele wirst du umbringen?“ Die polemische Umkehrung der Frage ist das Verdienst jener Spin-Doktoren, die die Sprache manipulieren und so mit kleinen Eingriffen große Wirkungen erzielen. Zwei Vertreter dieser Spezies lässt Latour auftreten: den amerikanischen Politikberater Frank Luntz und den ehemaligen französischen Forschungsminister Claude Allègre (bei Latour: Monsieur Joyeux), der „30 Prozent der Franzosen im Alleingang zu Klimaskeptikern gemacht hat“. Luntz hat für Begriff „Erderwärmung“ den viel harmloseren „Klimawandel“ erfunden – und die Erbschaftssteuer („estate tax“ oder „inheritance tax“) durch den Begriff „death tax“ ersetzt, weshalb sie plötzlich keiner mehr haben will. Worte wirken.
Aber die andere Seite ist auch nicht besser. Die hat unter dem Label „political correctness“ einen Gedankenpolizisten in ihre Hirne implantiert, der vielleicht die Schlachten auf Nebenkriegsschauplätzen gewinnt, während der Krieg um die Sache verlorengeht. Außerdem kann man den Effekt des mittlerweile fast eine Generation währenden ökologisch-apokalyptischen Alarmismus (angefangen beim Waldsterben) als flächendeckende Desensibilierungsstrategie interpretieren.
Gegenwärtig ist das sogenannte „Vorsorgeprinzip“ Angriffsziel der interessierten Lobbygruppen und ihrer Spin-Doktoren. Nach diesem verfassungsmäßig verankerten „principe de précaution“ darf ein Mangel an absoluter wissenschaftlicher Gewissheit nicht als Entschuldigung dafür dienen, Maßnahmen nicht zu ergreifen, die künftige Übel abwenden könnten. Die Abwehrmittel dagegen sind immer dieselben: Lenkung der Forschung, Delegitimierung unangenehmer Forschungsergebnisse, sprachliche Nebelkerzen und Umwertung der Begriffe. Das heißt, beabsichtigt ist die Verstärkung der kognitiven Dissonanz zwischen dem Wissen um die zerstörerische Kraft der Erderwärmung und der gleichzeitigen Passivität gegenüber diesem Phänomen.
Die Hoffnung, in Zukunft irgendwie da herauszukommen, garantiert dabei paradoxerweise, dass man genauso weitermacht wie bisher. Deshalb plädiert Latour konsequent dafür, die Hoffnung aufzugeben, um „im Horizont des Ereignisses“ zu sein (gegenwärtig also in Erwartung der Rache Gaias). Für Latour hat die Apokalypse also schon stattgefunden und wartet nur noch auf ihre Realisierung – auch das ein einfacher rhetorischer Trick, den Franz Hohler schon 1974 in seinem Öko-Song „Der Weltuntergang“ angewandt hat.
So produktiv die Analyse der politisch-sprachlichen Mechanismen ist, so diffus bleibt die Zielrichtung von Latours 64-minütigem Hörspiel, das eher ein Feld absteckt, als eine dramatische Entwicklung zu skizzieren. Für die gestische Bewegung, die Bruno Latour ursprünglich im Sinn hatte, ist die zeitbasierte Kunstform des Hörspiels auch nicht das geeignete Medium, weil es schlicht nicht über eine räumliche Struktur verfügt und somit eine Verortung der eigenen Position erschwert. Das scheint Latour auch bewusst geworden zu sein, weshalb er in dem anschließenden Interview mehrfach auf eine überarbeitete Fassung seines Stücks für die Theaterbühne verweist, die eher mit räumlich-optischen als mit zeitlich-akustischen Mitteln arbeitet.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 49/2013
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