Komödie ohne Kartoffelsalat
René Freund: Liebe unter Fischen
NDR Info, So 24.08.2014, 21.00 bis 22.00 Uhr
Was spricht eigentlich gegen eine heitere Sommerkomödie mit klischeehaftem Personal, vorhersehbarer Handlung und Happy End? Im Prinzip gar nichts. Auf seiner Website bekennt sich der österreichische Romancier und Dramatiker René Freund zu seiner Liebe zur Boulevardkomödie. Sein jetzt als Hörspiel realisierter Roman „Liebe unter Fischen“ wirkt denn auch wie aus einem Musterkatalog dieses Genres zusammengesetzt. Eine vor der Pleite stehende Verlegerin (gesprochen von Britta Steffenhagen), ihr unter einer Schreibblockade leidender Erfolgslyriker (Fabian Busch), ein naturwüchsiger Revierförster (David Miesmer) und eine nixenhafte Limnologin (Katja Danowski) treffen aufeinander. Klar, dass ein paar coole Sprüche geklopft, ein Jodelkurs textsicher bewältigt und ein paar Irrungen und Wirrungen absolviert werden müssen, bevor sich am Ende die Richtigen kriegen.
Der Plot ist recht übersichtlich. Der Kreuzberger Schriftsteller Alfred Firneis (mit unglaublichen Auflagen von 150 000 Exemplaren pro Lyrikband) wird von seiner Verlegerin Susanne Beckmann auf eine Almhütte verfrachtet, um Gedichte für einen bereits angekündigten Band (Arbeitstitel: „Liebe unter Fischen“) zu schreiben. Dort trifft er auf einen tätowierten Naturburschen, den Revierförster August, der in seinem Garten „älptaler Gewürzkräuter“ (d.i. Marihuana) anbaut, und zudem begegnet Alfred seiner Muse Mara, die sich zwar als slowakische Gewässerforscherin ausgibt, sich dann aber als eine von der Verlegerin angeheuerte arbeitslose Schauspielerin namens Lissi entpuppt.
René Freund lässt Mara, die angehende „Witzenschaftlerin“ – den Wortwitz hat er bei Jandls „humanisten“ geklaut – jedes Doppel-„s“ als „tz“ sprechen. Ein humoristisch eher grobmotorisches Verfahren, das schon Wilhelm Jacoby und Carl Laufs in ihrem 1890 veröffentlichten Schwank „Pension Schöller“ benutzt haben, als sie einen Kellner jedes „l“ durch ein „n“ ersetzen ließen und damit die Literaturgeschichte von „Othenno“ bis „Wannenstein“ veralberten. Auf humoristisch so grobe Klötze gehören inszenatorisch ähnlich grobe Keile. Was das angeht, setzte Frank Castorf vor zwanzig Jahren in seiner „Volksbühnen“-Inszenierung der „Pension Schöller“ auf Slapstick-Einlagen mit Kartoffelsalat, der dann typisch für diese Schaffensperiode wurde.
Leider lotet Beatrix Ackers in ihrer knapp 60 minütigen Inszenierung der gut 200-seitigen Romanvorlage von René Freund den phonetisch-akustischen Raum zwischen der weich-nasalen Limnologie und der hart-frikativen „Gewätzerwitzenschaft“ nicht aus. Max Nagl verwendet in seiner Komposition alpenländische Folklore, wodurch die inhaltliche Ebene auf der akustischen verdoppelt wird, was im Boulevardgenre aber völlig in Ordnung ist, weil hier mehr eben mehr ist und man kein Klischee vermeiden sollte.
Insgesamt aber fehlt es der Inszenierung an Tempo und an jenem wohldosierten Überschuss an Wahnsinn, der dem Stück eine zusätzliche komische Dimension gegeben hätte – die Portion Kartoffelsalat obendrauf sozusagen. Denn erst dann sieht man gerne über all die Unwahrscheinlichkeiten von Handlung und Figurenzeichnung hinweg, erst dann badet man freudig in den Fluten der Klischees. Und erst dann kann man die Rosamunde-Pilcher-haften Lebensweisheiten ertragen, die dabei herauskommen, wenn ein vom Burn-out geplagter Schriftsteller auf einer einsamen Almhütte mit sich selbst konfrontiert wird – weil diese Sentenzen schon durch die Form und den Kontext, in denen sie geäußert werden, ihr eigenes Dementi enthalten. Jede gute angelsächsische Sitcom operiert nach diesem Prinzip.
Dafür braucht es allerdings eine Voraussetzung: nämlich das Bewusstsein der Figuren, auch in ihrem eigenen Leben nicht platt sie selbst zu sein, sondern eine Rolle zu spielen. Obwohl das Spiel von Rollen hier ausdrücklich thematisiert wird, ist es die Selbstironie, die Susanne, Alfred, August und Mara/Lissi fehlt. Und also bekommt man jene Vorabendform der Unterhaltung serviert, in der es hinter all dem Spaß immer noch ein Körnchen Sinn und Lebenshilfe zu entdecken gilt. René Freund, so schreibt er in demselben Text, in dem er seine Liebe zur Boulevardkomödie gesteht, ist ein paar Jahre vor seinem Humoristenkollegen Hape Kerkeling den Jakobsweg entlanggepilgert. Beides erklärt vielleicht, warum aus dem, was eine überschäumende Komödie hätte werden können, ein mittleres Fließgewässer geworden ist.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 35-36/2014
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