Kommunizierende Texte

In seinen „Variationen zu Peter Weiss“ denkt Hörspielautor Fabian Saul ‚Die Ästhetik des Widerstands‘ weiter, indem er dreizehn Autorinnen und Autoren auf Motive und Diskurse der Vorlage reagieren lässt. Das vielstimmige Hörspiel eröffnet eine heutige Perspektive auf die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, die Peter Weiss vor fünfzig Jahren entwarf.

Fabian Saul: Die Ästhetik des Widerstands – Variationen zu Peter Weiss

DLF, Sa, 16.08.2025, 20.05 bis 22.00 Uhr
DLF Kultur, So, 17.08.2025, 18.30 bis 20.00 Uhr

Einen 1200 Seiten langen Roman ins Radio zu bringen, kann man entweder in 635 Minuten machen es der Regisseur Karl Bruckmaier 2007 für den Bayerischen Rundfunk tat. Oder man erledigt das in vergleichsweise schlanken 135 Minuten, indem man nur thematisch an die Vorlage anschließt, wie es nun der Hörspielautor und Musiker Fabian Saul in seinen Variationen zu Peter Weiss‘ essayistischem Großroman „Die Ästhetik des Widerstands“ für Deutschlandfunk Kultur tut.

Zwar liest Tanasgol Sabbagh Auszüge aus Peter Weiss‘ monumentalem Werk, doch konzeptuell reagieren insgesamt dreizehn Autorinnen und Autoren mit eigenen Texten auf Motive und Diskurse des Romans. Dabei merkt man einigen die genaue Lektüre der Vorlage an, die offenbar auch das eigene Schreiben beeinflusst hat – nicht die schlechteste Wechselwirkung, die große Literatur entfalten kann. „Wenn wir lesen, werden wir gelesen“, sagt der deutsch-tamilische Schriftsteller Senthuran Varatharajah: „Wenn wir lesen, liest dieses Buch uns weiter“.

So etwas wie eine durchgehende Handlung braucht es nicht, mäanderte doch schon die Romanvorlage durch die Welten von Kunst und Mythologie und verknüpfte sie mit der Gegenwart des Faschismus der 1930er Jahre. Der dreibändige Roman ist in mehreren Druckseiten lange, absatzlose Blöcke gegliedert, deren lange, rhythmische Satzperioden die äußerlich strenge Form konterkarierten.

Dieses Prinzip funktioniert auch im Hörspiel. Kein Satz steht frei, alle werden von der Komposition und dem Sounddesign Fabian Sauls untermalt, akzentuiert oder erweitert. Da sind Klavierpassagen, die irgendwo zwischen Eric Satie und Ludovico Einaudi daherschweben, da ist Franzi Aller am Bass und ab und zu sind da Naturgeräusche, die das Künstliche kontrastieren. Die Stimmen sind manchmal gefiltert und punktuell gedoppelt, schieben sich aber nie vor ihre Texte.

Gegenwehr und Widerstand

Im ersten Teil „Ein Beispiel“ stellt der Schweizer Schriftsteller Ralph Tharayil fest, dass der Versuch, in der Sprache moralischer Überlegenheit ein Beispiel zu sein, nicht funktioniert – zumal wenn die Pose des Widerständigen nur noch als Reenactment und Bedürfnis nach Sinnstiftung daherkommt. „Es gibt Sätze, die kommen zu früh und Sätze, die kommen zu spät“ ist ein Leitmotiv, das in den sechs zwischen 19 und 25 Minuten langen Folgen des Hörspiels immer wieder aufscheint. Im gleichen Zusammenhang stellt sich die afghanisch-deutsche bildende Künstlerin Moshtari Hilal die Frage, wie man sich engagiert, „ohne herablassend als Aktivist bezeichnet zu werden, ohne dass sein Protest seine Prosa überschreibt“. In der vierten Folge formuliert die iranisch-deutsche Schriftstellerin Asal Dardan die Frage um: „Schuldet eine Schriftstellerin dem Land, in dem sie lebt und in dessen Sprache sie schreibt, etwas?“, und sie gibt darauf auch eine Antwort: „Ja, wahrscheinlich Widerstand und Gegenwehr.“

Dass Sprache nicht mehr ausreicht, um das Verhältnis von Körper und Welt zu ordnen, war eine These Tharayils. Wie das dennoch geht, hören wird im dritten Teil des Hörspiels, der auf Peter Weiss‘ Beschreibung von Picassos Großgemälde „Guernica“ reagiert, das seinerseits auf die Bombardierung der Stadt durch die Nazi-Legion Kondor reagierte. „Gehämmert zu einer Sprache von wenigen Zeichen enthielt das Bild Zerschmetterung und Erneuerung, Verzweiflung und Hoffnung“, schrieb Weiss dazu.

Heute sieht man ähnliche Grausamkeiten medial vermittelt und in Echtzeit an anderen Orten. „Massaker ist eine tote Metapher, die aus dem Fernseher kommt und es frisst meine Freunde ohne eine einzige Prise Salz“ sagt der palästinensisch-schwedische Dichter Ghayath Almadhoun. Sein Text ist der einzige, der im arabischen Original vorkommt und übersetzt wird. Im Namen dieser getöteten Freunde aus Gaza entschuldigt er sich bei israelischen Soldaten für ihre Traumatisierungen. Die wurden verursacht durch „die unschönen Bilder, in die wir uns verwandelt haben, nachdem sie mit ihren Bomben direkt auf unsere weichen Köpfe gezielt haben.“ Es ist der wohl schmerzhafteste Text des gesamten Hörspiels. Die kurdisch-deutsche Schriftstellerin Karosh Taha wird das später in einen größeren Kontext einordnen, als „erstes Werkzeug in die Stirn eures Bruders geschlagen / die Rakete“.

So kommunizieren die Texte der dreizehn Autorinnen und Autoren nicht nur mit der Vorlage von Peter Weiss, sondern auch untereinander. Dialogische Einordnungen wie die Gespräche zwischen Alice Hasters und Theresia Enzensberger („Kulturelles Kapital braucht Kapital, um Kapital sein zu können“) erweitern das Repertoire der Textsorten in diesem Hörspiel ebenso wie eine Spielszene des eher holzhammerhaft argumentierenden Tomer Dotan-Dreyfus, der den Faschismus in uns allen verortet sieht.

Das herausragende Merkmal von Fabian Sauls Variationen zu Peter Weiss ist, dass sein Hörspiel die Denkbewegungen seiner Autorinnen und Autoren (neben den Erwähnten sind es außerdem Olga Grjasnowa, Sandra Hetzl, Enis Maci und Miedya Mahmod) nachvollziehbar macht. Fragte sich Peter Weiss in den 1970er Jahren, wie man auf den Faschismus der 1930er Jahre reagieren konnte, so muss man sich heute fragen wie man auf den Faschismus der 2030er Jahre wird reagieren müssen. Besser, man lässt es gar nicht erst so weit kommen.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 21.08.2025

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