Ins Raunen gekippt

Jakob Nolte: Der Krieg ist vorbei

Deutschlandfunk Kultur, So, 08.09.2024

„Krieg“ ist auch nur ein Wort. Ebenso wie „Wirklichkeit“ oder „Superposition“. In Jakob Noltes neuem Hörspiel „Der Krieg ist vorbei“ geht es genau um das: um Worte, ihre Betonungen und ihre Bedeutungen.

Am Anfang wäscht sich jemand die Hände, wahrscheinlich in Unschuld. Denn: „Der Krieg ist vorbei“, wie wir es aus dem Mund von Staube (Ursina Lardi) erfahren, die verschiedene Varianten dieses Satzes ausprobiert. Gecoacht wird sie dabei von Pasel (Moritz Grove), der „vom Theater kommt“ und sich deshalb „mit der Wahrscheinlichkeit von Kommunikation“ auskennt. In Jakob Noltes 52-minütigem Fünf-Personen-Hörspiel „Der Krieg ist vorbei“ geht es also weniger um die Wirklichkeit des Krieges, als vielmehr darum, ob es diese Wirklichkeit überhaupt gibt und wie man über sie sprechen kann.

Was dabei wie die Probe mit einem schlecht gelaunten Theaterregisseur klingt, ist eigentlich die Vorbereitung auf eine politische Rede. Und ob auch gemeint werden muss, was gesagt wird, ist keine Frage der Überzeugung, sondern eine der Intonation. Es muss halt glaubwürdig rüberkommen. Dass Worte eine Kraft haben, hält die Politikerin Staube für ein Gerücht. „Aber ein Gerücht, auf dem Macht beruht. Womit es sich selbst bestätigt“, entgegnet Pasel.

Irgendwann kommt Ruppinger (Bernd Moss) dazu. Auch er ein Politiker, wohl von der Oppositionspartei, der ein paar Andeutungen zur Ursache des Kriegsendes liefert. Da ist wohl ein Diktator bei einem Militärputsch zu Tode gefoltert und an einem Strick vom Balkon gehängt worden: „Aber das sind doch tolle Nachrichten.“ Dass der Krieg vorbei sei, klinge aus dem Mund von Staube wie eine Lüge, kommentiert Pasel daraufhin.

Krieg und Theater

Dann wird kurz andiskutiert, was denn überhaupt als Krieg zu bezeichnen sei. Den Autor Jakob Nolte scheint das aber nicht weiter zu interessieren. Es fällt das einschlägige Clausewitz-Zitat vom Krieg als „bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Das war es dann aber im Wesentlichen auch schon. Der Autor und seine Figur Pasel interessieren sich mehr für das Theater, das ein „unzuverlässiges Medium“ sei, welches mit einem Wertesystem aus Ungenauigkeiten und Fehlannahmen verantwortungsvoll oder zumindest „sportlich“ umzugehen habe. Fazit: Die moralische Anstalt ist längst abgerissen. Einen sportlicher Umgang mit der Wirklichkeit pflegt aber auch eine Politik, die zynisch eine „uferlose Menschlichkeit“ kurzerhand zur Lüge erklärt.

Zu diesem Zeitpunkt machen Curzio (Josef Ostendorf) und Jonas (Marie Rathscheck) die Runde komplett. Man versammelt sich zum Essen. Butter und Kartoffeln werden mehr oder weniger geräuschvoll über den Tisch geschoben. Aber das ist auch schon alles an akustischer Komik, die so subtil daherkommt, dass man sie auch überhören kann. Der Mann mit dem sprechenden Namen Curzio (Malaparte?) referiert aus seinem Buch, nein, seinem Büchlein, wie er es mit passiv-aggressiver Bescheidenheit nennt, dabei über das Ende der Wirklichkeit.

Denn ähnlich wie im Allmachtsparadox, nach dem ein allmächtiges Wesen keinen Stein erschaffen kann, den es selbst nicht anzuheben vermag, habe die Wirklichkeit einen Teil der Wirklichkeit erschaffen, der kein Teil der Wirklichkeit mehr sei. Was dieser Teil der Wirklichkeit dann aber ist, bleibt ausgespart.

Religion und Quantenmechanik

Um solchen Paradoxien zu entkommen, gibt es traditionell zwei Möglichkeiten: Seit ein paar Jahrtausenden die Flucht in die Religion und, seit gut 120 Jahren, den Sprung in die quantenmechanische Theorie. Nach der können Quanten in einer Superposition gleichzeitig mehrere Zustände einnehmen. Diese Superposition bricht im Moment der Messung zusammen und der Zustand wird eindeutig. „Man darf keine Prinzipien der Quantenphysik dazu verwenden, Dinge zu erklären, die nichts mit Quantenphysik zu tun haben“, lässt Nolte eine seiner Figuren sagen, aber das hindert ihn nicht daran, Ende und Nicht-Ende des Krieges in einer solchen Superposition zu verorten.

Zu Schluss tritt die Figur auf, die sicherlich nicht zufällig den Namen des Propheten Jona(s) trägt, der in der Bibel der assyrischen Hauptstadt Ninive ihre Zerstörung prophezeit und bei Jakob Nolte für zeitgemäße Trauerbegleitung und die Definition von Menschsein zuständig ist. Durch Mitleid(en) werde der Mensch zum Menschen, so Jona. Wer dazu nicht fähig ist, wäre definitionsgemäß kein Mensch, wie die Politiker messerscharf schließen. Letztendlich bleibt das aber ähnlich bedeutungslos wie die Frage, ob Curzio zur Wirklichkeit gehört oder ob der Krieg nun vorbei ist oder nicht. Eine experimentelle Bestätigung der Existenz von Realität wird von Pasel darüber hinaus gleich mit einem Trickmesser und Kunstblut sabotiert.

Jakob Nolte spielt gerne mit verdeckten Referenzen, manchmal gelingt das überzeugend, wie in dem Hörspiel „Unbekannte Meister 4 – Werbung in Niemandes Namen“ (Kritik hier). Manchmal verliert sich das Spiel aber auch im Nebel der Bezüge und kippt ins Raunen ab. Man merkt „Der Krieg ist vorbei“ an, dass es für eine Theaterbühne konzipiert ist, die dem Regisseur einige Freiheiten für die komischen wie die diskursiven Anteile gibt. Der Autor Jakob Nolte hat für sein Hörspiel aber auf den Regisseur Jakob Nolte gesetzt, der nicht so recht von den Möglichkeiten des eigenen Textes Gebrauch machen will, sondern sich für eine eher dröge Inszenierung entschieden hat.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 06.09.2024

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