Hörspielfülle im Linearen

Robert Wilson: Ubu

DLF Kultur, 21.05.2023 18.30 bis 19.21 Uhr

Als „Tea for two with Angela and Bob“ moderieren Theatermacher Robert Wilson und Schauspielerin Angela Winkler sich selbst für ihr Hörstück „Ubu“ nach Alfred Jarrys Skandalstück „Ubu Roi“ aus dem Jahr 1896 an. Um sodann mit radiophonen Mitteln die Geschichte des gefräßigen Tyrannen zu erzählen, ohne auf die Handlung zurückgreifen zu müssen.

„Bloß nicht Wilson“, war 2016 auf den ARD-Hörspieltagen in Karlsruhe die mehrheitliche Hoffnung im Fachpublikum, als es um die Verleihung des Hörspielpreises der ARD ging. Doch die Jury entschied anders und zeichnete „The Tower of Babel“ aus. Sie lobte den Einsatz von „allen Mitteln, die das moderne Hörspiel bietet“, obwohl Robert Wilson akustisch da nur eines kannte: das Mittel der additiven Steigerung. Zuvor hatte Wilson schon „Monsters auf Grace II“ inszeniert (SWR 2014) und anlässlich seines 80. Geburtstags 2021 spendierte ihm der Hessische Rundfunk eine lange Hörspielnacht mit „Tower of Babel II“.

Mit „Ubu“ nach Alfred Jarrys Theaterstück „Ubu Roi“ aus dem Jahr 1896 präsentiert Wilson nun seine dritte Radioarbeit, die auf einer bildgewaltigen Inszenierung basiert, die das Stück im Dialog mit dem Maler Juan Miró zeigt, der von Jarry fasziniert war. Das Stück hatte im Oktober 2022 im Es-Baluard-Museum für zeitgenössische Kunst in Palma Premiere und wird vom 23. bis 26. August beim Kunstfest Weimar zu sehen sein. Die 51-minütige Radiofassung des Stückes wurde am 21. Mai auf Deutschlandradio Kultur uraufgeführt. Und weil auf dem 90-minütigen sonntäglichen Sendeplatz noch Zeit war, konnte im Anschluss an das Hörspiel – als sogenannte Hörspielfülle – noch der 15-minütige Essay „100 Jahre Ubu Roi – der Archetyp des absurden Theaters und sein Schöpfer Alfred Jarry“ von Gabriele Killert sowie ein Ausschnitt der imaginären Ballettmusik „Musique pour les soupers de Roi Ubu“ von Bernd Alois Zimmermann gesendet werden. So geht lineares Radio.

Weil Robert Wilson in seinem „Spiel für das Radio“ weder Licht noch Kostüm zur Verfügung stehen, übernehmen diese Rollen Musik und Geräusch. Als gestische Dimension kommen die Stimmen von Papa und Mama Ubu hinzu, und hier verausgaben sich Robert Wilson und Angela Winkler. Denn wie man eine Geschichte erzählt, ohne eine Geschichte zu erzählen, weiß Robert Wilson spätestens seit seinen ersten Inszenierungen in Deutschland.

Den Text von Jarry braucht es dafür nicht. Es braucht nicht einmal das Wort „Schreiße“ (im französischen Original verballhornt „merdre“), das bei der Uraufführung den Skandal befeuerte. „Sexkremente“ gibt es aber schon, nachdem die Völlerei mit einer Speisekarte abgearbeitet wird, bei der sich Mama und Papa Ubu gegenseitig auf Deutsch und Englisch die Leckereien soufflieren.

Gutturale Laute von Robert Wilson treffen auf sich überschlagende von Angela Winkler – der grollend/growlende König in spe hört auf seine Lady Macbeth, die ihn zum Mord an seinem Vorgänger König Wenzeslaus von Polen anstiftet. Grundiert von Musical-Nummern wie „Tea for two“, die von einer E-Gitarre zersägt wird, über Lou Reeds „Perfect Day“ bis zu Cembalo oder Solo-Violine entwickelt sich der Soundtrack bis hin zum Klassiker „Daisy Bell“ aus dem Jahr 1892, das schon für den Computer HAL 9000 in Stanley Kubricks Weltraum-Odyssee „2001“ zum Finale wurde.

Wilson hat seine „Ubu“-Fassung in sieben Akte gegliedert, die mal von zerspringendem Glas, mal von einer Filmklappe getrennt werden. Lediglich Akt eins, „The Idea“, nimmt die skandalträchtige Drastik aus Jarrys Vorlage auf: „Habe ich nicht ein Arschloch? Wenn ich ein Arschloch hätte, würde ich es auf einen Thron stecken wollen.“ Natürlich gelingt die Usurpation des Thrones und Ubus Tyrannei beginnt. In Akt vier wird er gekrönt, und kurz danach beginnt in Akt fünf der Krieg. Der mit schreibmaschinenhaften Gewehrsalven und dumpfen Einschlägen zu einer der eindrücklichsten Szenen des Hörspiels wird – eben weil sie gar nicht erst den Versuch macht, den Schrecken halbwegs realistisch abzubilden, sondern ihn unheroisch ästhetisiert. In mehrfachen Repetitionen hört man, wie Ubu den Krieg führt, „als wär sein Ende nah“. Sein Programm ist „to slay all those who fight what we stand for“.

Einen sechsten Akt gibt es nicht, es folgt gleich der siebte, „The Ressurection“ (Die Auferstehung), während sich „von Ost nach West in Rüstung und Waffen gekleidet“ die neue Herrschaft ausbreitet. Die Parallelen zur aktuellen Geschichte sind deutlich.

Die Spannung zwischen den Stimmexaltationen von Wilson und Winkler und den Passagen mit Easy-Listening-Musik, die an die Soundtracks von Jacques-Tati-Filmen erinnert, den Tea-for-two- und Bye-bye-Blues-Nummern, den Tango- und Musette-Walzer-Passagen wird gerade in den letzten Teilen besonders deutlich – bevor mit „Daisy Bell“ sich Mama und Papa Ubu auf dem „Bicyle built for two“ aus dem Staub machen. Mit seiner Inszenierung ist Robert Wilson eine Hörspielfülle im doppelten Sinne gelungen.

P S: Die 102-minütige „Wiener Version“ von „Ubu Roi“ von H. C. Artmann aus dem Jahr 1991 wiederholt der Bayerische Rundfunk als Zweiteiler am 4. und 11. Juni auf seiner Welle Bayern2.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 25.05.2023

 

 

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