Hörspiel des Monats Oktober 2024
Kein König in Israel
von Maxim Biller
Regie: Dominik Graf
Komposition: Florian van Volxem, Sven Rossenbach
Dramaturgie und Redaktion: Manfred Hess
Produktion: SWR 2024
Länge: 80:18
Ursendung: SWR Kultur, 06.10.2024, 0.05 Uhr
Die Begründung der Jury
Ein blutiger Anfang, ein blutiges Ende: Dazwischen bewegt sich, unter dem Eindruck ständiger Angst des Protagonisten, Maxim Billers Hörspiel für den Südwestrundfunk namens „Kein König in Israel“. Es ist eher gewaltsam als gefällig und eher literarisch als in allen Einzelheiten historisch verbürgt. Auch, wenn es sich um ein reales Vorbild dreht, nämlich den Schriftsteller, Übersetzer, Hebräischlehrer und Gewerkschafter Josef Chaim Brenner, genannt Jossl. Geboren wird der erotisch und politisch zerrissene Jossl 1881 im russischen Zarenreich in einem ukrainischen Schtetl. 1909 geht er nach Palästina. Es ist das Jahr, in dem Tel Aviv, die heute als weltoffen geltende Metropole, als erste jüdische Stadt der Moderne gegründet wird. 115 Jahre später ist sie wieder und immer noch Schauplatz von Gewalt zwischen Arabern und Juden.
Der junge Brenner, Hoffnungsträger der zionistischen Literatur in Palästina, lebt in ständiger Sorge. Als er ins neue Haus zieht, tauscht er die Schlösser der arabischen Handwerker aus, aus Angst, von ihnen im Schlaf überfallen zu werden. Er heiratet und wird geschieden. Seine Frau nimmt den gemeinsamen Sohn Uri mit nach Berlin, um ihn vor seinem übermächtigen Einfluss zu schützen, was ihn fast zugrunde richtet. Jossl schreibt dunkle und wirre Briefe an ihn, die er nie abschickt. Eine Rückblende in seine Londoner Zeit zeigt den blutjungen Jossl Brenner in Gesellschaft seines Freundes Uri Gnessin; im Nachtleben treffen sie auf den homosexuellen Sohn des Mufti von Jerusalem. Der in die westliche Urbanität desertierte Araber prophezeit ihnen beim Anblick einer Karikatur seines prominenten Vaters in einer jüdischen Zeitschrift ein Massaker ungeheuren Ausmaßes.
Die Hörspielnovelle Billers in der Regie des Filmregisseurs Dominik Graf erzählt von der Epoche vor dem Holocaust und der Staatsgründung Israels und all seinen Kriegen mit den Nachbarländern. Allerdings nicht allzu politisch solle man das alles lesen, erklärt Biller lapidar im Interview mit dem Sender, zuallererst sei es ihm «um eine geile Geschichte» gegangen. Eine „geile Geschichte“ mit einer glücklichen Besetzung durch Schauspieler wie Samuel Finzi oder Joel Basman. Aber da sie am Jahrestag der Hamas-Anschläge in Israel über den Sender geht, liest sie sich zwangsläufig auch als Kommentar zum Zeitgeschehen; ein pessimistischer, blutgetränkter Kommentar, der mit dem gewaltsamen Tod des nicht einmal 40-jährigen Brenners endet, nachdem er über die Utopie eines friedlichen Palästinas sinniert hatte:
„Er nannte die Araber plötzlich Brüder. Er beschrieb das Unglück, das erst die Türken, dann die Engländer und schon immer die Kapitalisten über sie brachten. Und er prophezeite, dass ein sozialistischer jüdischer Staat auch das Paradies jedes arabischen Bauern und Arbeiters werden würde.“
Wie auch immer man die Geschichte einordnet und deutet, sie wird uns in einem großen epischen Bogen von meisterlicher Sprache und Dramaturgie präsentiert. Die formal überragende Qualität macht sie zum Hörspiel des Monats Oktober 2024.
Das Hörspiel des Monats wird am Samstag, den 04.01.2025 um 20.05 Uhr im Deutschlandfunk (DLF) wiederholt.
Die Nominierungen
BR, Dana von Suffrin: Unter uns
DLF, keine Nominierung
DLF Kultur, keine Nominierung
HR, Frank Witzel: Ein Leben im Ton
MDR, Holger Böhme: Haus mit Gästen (Steffi & Isa, 4. Staffel)
NDR, Grit Poppe: Rabenkinder
RB, keine Nominierung
RBB, Katharina Hacker: Die Gäste
SR. Madeleine Giese: Mein Schatz (ARD Radio Tatort)
SWR, Maxim Biller: Kein König in Israel
WDR, Sandra Stöckmann, Andreas Schaap, Benjamin Quabeck: Kalkar ’81
ORF, keine Nominierung
SRF, keine Nominierung
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