Gute Ratschläge

Seit Anbeginn der Zeiten versorgt die Welt den Menschen mit guten Ratschlägen. In der Hörspielversion von Liv Strömquist Comic„Das Orakel spricht“ beschäftigt sich Regisseurin Nele Stuhler humorvoll mit der Komplexität von Selbstoptimierung, Achtsamkeit und der gesamten Beraterindustrie.

Liv Strömquist: Das Orakel spricht

DLF Kultur, Do, 11.12.2025, 22.05 Uhr, Folge 1-3, So, 14.12.2.205, 18.30 Uhr, Folge 4-7
DLF, Sa, 13. Dezember, 20.05 Uhr, Folge 1- 6

Wenn Sie sich fragen, warum Sie „absolut katastrophal zu wenig Spaß haben“, obwohl Sie 24/7 allen möglichen Influencern auf allen möglichen Kanälen folgen, dann sind Sie reif für die siebenteilige Hörspielserie „Das Orakel spricht“. Die Hörspielautorin und Meisterin der Kompetenzanmutungskompetenz Nele Stuhler (“Keine Ahnung“, DLF Kultur 2020) hat die Graphic Novel von Liv Strömquist für das Radio bearbeitet und inszeniert. Wobei „Novel“ (Roman) für den 248-seitigen Comic die falsche Gattungsbezeichnung ist. Es handelt sich vielmehr um eine hybride Form zwischen Feature und Essay sowie zwischen Text und Bild. Eben darum ist sie besonders geeignet für eine radiophone Umsetzung, die mit Originaltönen, Geräuschen, Musik und mit den Schauspielerinnen und Schauspielern noch eine performative Ebene hinzufügt. Von Theodor W. Adorno bis Hartmut Rosa kommen Philosophen und Soziologen zu Wort.

Übergreifendes Thema der sieben 22- bis 25-minütigen Folgen ist die von einer Coaching- und Beratungsindustrie befeuerte Selbstoptimierungskultur. In der ersten Folge spricht das Universum mit den Stimmen von Astrologen, derer sich unter anderem der US-Präsident Ronald Reagan bediente. In der zweiten Folge spricht der Tod mit der Stimme von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, der nicht erst am Ende kommt, sondern von Anfang an dabei ist und dem Leben zuschaut.

Dazu passt kein Song besser als „Every breath you take (I‘ll be watching you)“ von The Police. Wie überhaupt die Musik oft kalauernd-kommentierend eingesetzt wird. Die heilige Katharina von Siena (“born and raised in der Toskana“) meldet sich aus dem Himmel zu Wort, ebenso wie der polnisch-britische Philosoph Zygmunt Bauman. „Das moderne Todesverständnis konstruiert den Tod als individuelles Ereignis, das vermieden werden könnte“, sagt Bauman, und man denkt unwillkürlich an ein paar durchgeknallte Milliardäre, die massiv in die Vermeidung des Unvermeidlichen investieren. Heruntergebrochen auf den Normalverbraucher heißt das: „Ich muss ganz genau wissen, wie ich mich ernähre, sonst bin ich ja selber schuld, wenn ich sterbe.“ So geht Sarkasmus.

Maskulinisten einfach auslachen

Nachdem die Vergeblichkeit von allem schon in der zweiten Folge abgeräumt wurde, geht es in der dritten Folge um die Manosphere, also jene Sphäre, in der die Maskulinität gefeiert wird. Gegen den Maskulinisten Rollo Tomassi (Bernhard Schütz) wird der queere Influencer und Aktivist Alioscha Muttardi (im O-Ton) in Stellung gebracht. Während in den sozialen Netzwerken auf all die üblen misogynen Stereotypen der selbsternannten „Alphas“ gerne mit panischer Empörung reagiert wird, kann man bei Nele Stuhler hören, dass man sie mit ihren hilflosen Schmerzvermeidungsstrategien auch einfach herzlich auslachen kann.

Mit den Frauen funktioniert das Beratungsgeschäft aber auch nicht besser, wie man in der vierten Folge erfahren kann. Wenn die Schauspielerin und Duchess of Sussex Meghan Markle Sinnsprüche auf Bananenschalen schreibt (“Be your best self“), die sie an Bedürftige verteilt, dann merkt man schnell, dass Ratschläge erteilen eher den Beratern hilft als den zu Beratenden.

Dabei muss man sich nicht einmal selbst an die eigenen Ratschläge halten. Warum boomt dann das Geschäft mit den guten Ratschlägen seit der Priesterin Pythia? „Weil es eine Strategie zur Kontingenzbewältigung ist“, sagt der Althistoriker Christopher Degelmann, also zum Umgang mit der Zufälligkeit und Unbestimmbarkeit des Lebens. Wobei die Pythia anders als die heutigen Influencer vielfältig interpretierbare Prophezeiungen machte.

Leidensgeschichte als Geschäftsmodell

In der fünften Folge geht es um das Paradox der therapeutischen Kultur, deren Ziel es ist, die Leute zu heilen, und die dafür ein Narrativ des Leidens, eine Leidensgeschichte, etablieren muss. Wenn kleine Verletzungen reichen, um riesige Wunden auszulösen, ist die selbstzentrierte Aufmerksamkeit und „Achtsamkeit“ auch nicht gerade hilfreich. Zumal der Kontakt mit dem eigenen „inneren Kind“, das einem eine ewige Wahrheit über einen selbst enthüllt, gerne mit der Ökonomie psychoanalytischer Abo-Modelle verknüpft ist. Und wenn im Hörspiel diese ewige Wahrheit über sich selbst „Du magst Nudeln“ lautet, dann kann man eine komische Fallhöhe kaum besser inszenieren.

Folge sechs handelt vom Zufall, beziehungsweise davon, wie ungerecht und zufällig die Lebenschancen verteilt sind. Einem Fatalismus gegenüber den Strukturen korrespondiert ein Rückzug auf das, was man angeblich zu kontrollieren vermag. Rational wäre es also, die großen Zusammenhänge zu ändern, anstatt auf das „Mindset“ der Individuen zu setzen. Hier erwartet man als musikalischen Kommentar „Always on my mind“ von den Pet Shop Boys – und da kommt er auch schon.

Individualisierung und Beschleunigung

In der siebten Folge geht es um die Beschleunigung, und dazu schaut der Soziologe Hartmut Rosa vorbei, der schon in früheren Folgen, gerne mit technisch beschleunigter Stimme, zu hören war. Der meint, dass die Moderne durch die Prozesse von Individualisierung und Beschleunigung bestimmt ist. Wenn Geschichte nicht mehr als dynamischer Prozess verstanden wird, sondern als ein permanentes Nebeneinander, führt das zu allumfassenden lebensweltlichen Verunsicherungen, weil jede Entscheidung für etwas eine Entscheidung gegen vieles andere ist. Hinzu kommt der Stress, alles Nichtplanbare ständig mit einplanen zu müssen, was zu der Frage führt: „Habe ich dieses mein einziges Leben optimal genutzt?“ Da ist es schon tröstlich, dass Dirk von Lowtzow in der Rolle des Todes als Optimierungsvernichter am Schluss alle in seine Arme schließt.

Nele Stuhler zieht in ihrer Adaption von Liv Strömquists Comic alle Register des Komischen. Von einer feinen Ironie, die nichts Zynisches hat, über paradoxe Absurditäten bis hin zu Kalauern, die überraschenderweise umso komischer werden, je erwartbarer sie sind. Hinzu kommt das spielfreudige, knapp zwanzigköpfige Ensemble (u. a. Lisa Hridina, Ulrike Krumbiegel, Matthias Matschke, Martin Wuttke), in das sich Hartmut Rosa erstaunlich gut einfügt.

„Das Orakel spricht“ ist nach „Ich fühl‘s nicht“ (DLF Kultur 2021) schon der zweite Comic von Liv Strömquist, der ins Radio gefunden hat. Außerdem reiht sich die Serie in ein Reihe mit dem fünfteiligen Selbstexperiment „Pimp your Life – Mit dem Knopf im Ohr zu einem besseren Leben“ der Deutschlandfunkredakteurin und Hörspielautorin Tina Klopp aus dem Jahr 2023 ein. Nachdem in sieben Folgen das Universum, der Tod, der Mann, die Banane, die Freundin, der Zufall und die Beschleunigung gesprochen haben, stellt man fest, dass die radiophone Form die Komplexität des Themas in seiner ganzen Vielstimmigkeit hörbar macht, ohne dabei redundant zu werden.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 11.12.2025

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.