Etüde in F

Raphaela Bardutzky: Fischer Fritz

Bayern 2, 01.04.2023, 15.05-16.09 Uhr

„Nicht mehr so frisch, der Fritz“, sagt der letzte Flussfischer von sich selbst schon vor seinem Infarkt, der auch sein Sprachvermögen beeinträchtigt hat. Seine Logopädin (Karolina Lodyga) übt mit ihm behutsam, bisweilen bemitleidenswert bedröppelt bilabiale Laute. Fritz reagiert brav, befangen, betrübt, beklommen, beängstigt, betroffen, bang, bebend, beschämt. Die Alliterationen in Raphaela Bardutzkys Debüthörspiel „Fischer Fritz“ sind der künstlerische Ausgangspunkt für ihren Text, den sie erst als Erzählung konzipiert und dann zu einem Theaterstück umgeformt hat, aus dem schließlich das Hörspiel wurde.

Zungenbrecher interessieren sie, verrät die Autorin im Gespräch mit Ralf Homann auf Bayern 2. Doch es sind nicht die kalauernd zwischen zwei Zwetschgenzweigen zwitschernden Schwalben in der Landschaft zwischen Kuhweiden, Kruzifixen, spitzen Kirchtürmen und Gaststätten mit Geranienbalkonen, die Raphaela Bardutzky interessieren, sondern das Sprachmaterial, das sich in diesen Formen realisiert. Genauer: es ist das Lautmaterial, das Bardutzkys Text in der Regie von Pauline Seiberich zu einem idealen Hörspieltext macht.

Da ist nicht nur der grummelige bayerische Tonfall von Johannes Herrschmann als Fritz, Jahrgang 1934: „A Wrack, sog i, oana, der weiderghert“, das sind auch die Tonfälle von Marta Sroka als seine Pflegerin Piotra und von dem Minibusfahrer Borys (Matthäus Zaborszky), der sie aus Polen in die bayerische Provinz expediert hat und mit dem sie eine schwärmerische Chatbeziehung verbindet. Die polnischen Muttersprachler agieren in diesem Hörspiel mit großer Selbstverständlichkeit in ihrer (meist behutsam) übersetzten Sprache, ohne dass hier „Diversität“ besonders ausgestellt werden müsste.

Wenn der Sohn den sich gegen eine „Live-in-Pflegekraft“ sperrenden Vater schließlich fragt, wie viel er für Deutschkenntnisse ausgeben will, ist die Tonalität gesetzt. Alle bemühen sich sehr um Fritz, der sich fragt „Was soi wern, wenns nix mehr werd?“, auch sein Sohn, der in Raphaela Bardutzkys Etüde in F natürlich nicht anders heißen kann als Franz (Michael A. Grimm). Franz hat sich vor Jahrzehnten entschieden, nicht die generationenalte Tradition fortzuführen und ebenfalls Fischer zu werden (auch nicht Fahrlehrer oder Finanzbeamter), sondern den Beruf des Friseurs ergriffen und seinen Meister in Frankreich gemacht. Franz fährt einen Smart (keinen Ford!), um in sein nur über einen unbefestigten Forstweg zu erreichendes Elternhaus zu kommen.

So banal und volksstückhaft der Vater-Sohn-Konflikt sein mag, so melancholisch ist er inszeniert. Denn natürlich stirbt Fischer Fritz an den von seiner Ärztin (Nina Steils) in einer chorisch verdoppelten Suada aufgezählten Insuffizienzen seines Körpers, die bei „Zerebellärer Ischämie mit Dysarthrie“ beginnt und bei „peripherer Lungenembolie beidseits“ noch längst nicht aufhört.

Raphaela Bardutzky zieht verschiedene Sprachregister, ihr Text wird von der Komposition von Jonathan Heidorn durch hart abreißende Atmosphärenschnipsel (Flussrauschen, Vogelgekreisch) akzentuiert, wenn nicht eine eher flächige Elektronik die Szenerie untermalt.
„Fischer Fritz“ ist ein Stück über das Sterben und über die Einsamkeit. Die einer Pflegekraft, die in ihrem jugendlichen Aufbruchsdrang eigentlich ganz woanders sein sollte als in einer heruntergekommenen Hütte am Fluss und die eines Sohnes, der seinem Vater nur posthum ein „Vergeits God“ nachrufen kann. Das ist weder trivial noch tragisch, aber sehr traurig. Raphaela Bardutzky balanciert die Elemente von Trauer und Komik gekonnt aus. Nachdem er vom Tod seines Vaters erfah- ren hat, verpasst Franz in einer Übersprungshandlung der „kaputtblondierten“ Piotra einen formvollendeten Stufenschnitt – ein Moment der Schönheit wie das ganze Hörspiel.

Jochen Meißner – epd medien Nr. 17, 28.04.2023

 

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