Erwartbares mit Schrecken

Seelenfänger – Podcastreihe über Sekten Kulte und esoterische Bewegungen

1. Staffel: Der Anastasia-Kult von Emeli Glaser und Dennis Müller

BR seit 29. September in der ARD Audiothek

Im Zentrum der Fantasy-Welt der Romanreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ des russischen Schriftstellers Wladimir Megre steht die in der sibirischen Taiga autark lebenden Anastasia. Rund um das Werk hat sich ein rechts-esoterischer Kult entwickelt, den eine Podcastreihe näher beleuchtet hat.

Bonn (KNA) Wie so oft sieht alles auf den ersten Blick ganz harmlos aus. Da treffen sich ein paar Leute, die die Fantasy-Welt eines Buches gut finden und sich von der komplexen und individualistischen Welt ein wenig überfordert fühlen und wollen zurück zur Natur. Ob das Mittelerde oder die russische Taiga ist, ist zunächst völlig irrelevant. Doch das Wochenendhobby entwickelt einen Sog, der sich aus ziemlich finsteren Ideologien speist.

Das Abschluss-Projekt der Klasse 59B der Deutschen Journalistenschule in München hat sich zusammen mit der Redaktion „Religion und Orientierung“ des Bayerischen Rundfunks (Tilmann Kleinjung und Till Ottlitz) dem Kult um die Romanfigur Anastasia und ihren Erfinder und charismatischen Propagandisten Wladimir Megre gewidmet und ist auf erwartbare aber deswegen nicht minder erschreckende Phänomene gestoßen.

Denn was als Sehnsucht nach Spiritualität beginnt endet in Verschwörungsideologien und krudestem Antisemitismus: „Juden haben keine Seele, Juden kommen aus der Unterwelt und kehren nach dem Tod in die Unterwelt zurück“, ist die Vorstellung, die in der Sekte weit verbreitet ist, wie die Aussteigerin Swetlana Nowoshenowa. Vollends irre, rassistisch und misogyn wird es beim Anastasia-Kult mit dem Konzept der sogenannten Telegonie, demzufolge der erste Sexpartner bei einer Frau einen Abdruck hinterlässt, der ihre Kinder prägt, egal von welchem Mann sie später gezeugt werden.

Überall auf Welt haben sich kleine Kommunen auf sogenannten Familienlandsitzen gebildet, die etwa einen Hektar groß und der Selbstversorgung dienen sollen. In Deutschland soll es nach BR-Recherchen etwa 18 dieser Landsitze geben. Bester Nährboden für Neopaganismus, Rechtsesoterik und Verschwörungsideologien.

Das Autoren-Team um die Podcast-Hosts Emeli Glaser und Dennis Müller berichtet genre-typisch von ihren Recherchen, von ihren Erfolgen und Misserfolgen und vielleicht entspricht das der Forderung mehr über die Arbeits- und Funktionsweisen des Journalismus aufzuklären, wenn draußen im Lande „Lügenpresse“ gebrüllt wird. Aber auf Dauer ist das etwas ermüdend, denn die meisten Journalisten sind erhebliche weniger interessant als die Themen über die sie berichten. Und ebenso überflüssig sind die Wiederholungen und Redundanzen und das was man „journalistische Einordnung“ nennen kann, als sprächen die O-Töne keine eindeutige Sprache.

Hinzu kommt die (gespielte) Verwunderung, wenn erklärte Rassisten und Antisemiten gegenüber einem Medium nicht Chance nutzen sich von Rassismus und Antisemitismus zu distanzieren. Als sei journalistisches Fragenstellen ein therapeutischer Akt, der die Verblendeten heilen könnte. Ebenso nervig ist am Ende jeder Episode das podcast-typische Betteln um eine gute Bewertung auf den entsprechenden Plattformen um die Reichweite zu erhöhen.

Kurz, wenn sich die Berichterstatter weniger wichtig nähmen und mit den eingelernten Formatvorgaben der Podcastplattformen souveräner und subversiver umgingen, könnte aus so manchem Podcastformat ein richtig gutes Radiofeature werden. Die zweite Staffel der „Seelenfänger“ ist bereits in Arbeit. Darin soll es um die „Katholische Integrierte Gemeinde“ gehen.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 28.09.2022

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