Eine Wende um 180 Grad
Tom Peuckert/Samir Nasr/Regine Ahrem: Papa, Kevin hat gesagt … 20-teilige Kurzhörspielserie
RBB Kulturradio, montags bis freitags, 01.02. bis 26.02.2016, jeweils 14.10 bis 14.15 Uhr
Als der Autor dieses Textes so alt war wie der etwa zehnjährige Charly und sein Freund, freute er sich immer auf die Besuche bei seinem Onkel in Hamburg-Altona. Denn im Sendegebiet des NDR konnte man die wunderbaren Geschichten von dem Sohn hören, der seinen Vater mit einfachen Fragen in komplizierte Situationen brachte und mit der Schlusspointe stets die Lacher auf seiner Seite hatte. Die fünf- bis siebenminütigen Hörspielminiaturen „Papa, Charly hat gesagt …“ wurden ab 1972 vom NDR produziert, später stiegen andere ARD-Anstalten und der RIAS mit ein, zuletzt lief das Format beim Saarländischen Rundfunk (SR) bis 1995.
Etwa einem Drittel der mehr als 600 „Papa-Charly“-Folgen stammten von der Autorin Ursula Haucke, der Schwester von Gert Haucke, der den brummeligen Papa verkörperte. Im Netz kann man die alten Audioclips noch hören, die auch dann Spaß machen, wenn man sie auf die ebenso vorhersehbaren wie unausweichlichen Schlusspointen zulaufen sieht. Die damaligen Themen sind entweder so zeitlos, wie es die moralischen Dilemmata, in die der Sohn den Vater verwickelt, nun einmal sind, oder sie sind immer noch (bzw. wieder) aktuell.
Ist es eine gute Idee, so ein Format im Jahr 2016 wiederzubeleben? Das ist natürlich prinzipiell eine ganz großartige Idee! Denn inzwischen müssen sich comedyhafte Kabarettformate wie die „Heute-Show“ oder „Die Anstalt“ (beides ZDF) bemühen, dem Bildungsauftrag nachzukommen, der dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ansonsten zunehmend lästig geworden ist. Auf den Kulturwellen des Radios ist das erfreulicherweise noch etwas anders.
So hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit seiner Redakteurin, Autorin und Regisseurin Regine Ahrem die Idee von Tom Peuckert aufgenommen und zusammen mit Samir Nasr eine aktualisierte Fassung des Formats gewagt. Dass dabei aus dem einst namenlosen Sohn nun eine Tochter namens Greta geworden ist – so weit, so gendermainstreamig. Dass es weiterhin der Vater ist, der bei seinen Lebenslügen und seiner Doppelmoral ertappt wird und sich mit seinen Welterklärungen ein bisschen lächerlich macht – geht auch in Ordnung. Obwohl eine Mutter-Tochter-Konfliktstruktur nach dem Motto „Mama, Frauke hat gesagt, ihre Mutter hat gesagt…“ durchaus ihren Reiz gehabt hätte. Aber komische Frauen schlecht aussehen lassen, das dürfen nur Anke Engelke („Ladykracher“) und Martina Hill („Knallerfrauen“) im Privatfernsehen.
Die neue Kurzhörspielserie heißt „Papa, Kevin hat gesagt …“ und dieser Titel lässt schon erahnen, dass sich das Setting gegenüber dem Original um 180 Grad gedreht hat. Denn dass Kevin kein Name, sondern eine Diagnose ist, hat schon im Jahr 2009 die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Kaiser herausgefunden, als sie empirisch die Vorurteile von Grundschullehrern untersucht hatte. War es in der Originalserie noch so, dass der Sohn mit einer gewissen Lust an der Provokation seinen Vater in die Bredouille brachte, indem er auf Charlys Vater als positiven Gegenentwurf verweisen konnte, so ist es heute umgekehrt. Von außen kommt eine Bedrohung von jenen bildungsfernen Reaktionären, die ihre Söhne Kevin nennen, eher national-chauvinistisch gestrickt sind und etwas gegen schmarotzende Hartz-IV-Empfänger, gegen Vegetarier und gegen Hitler-Dokus im Fernsehen haben.
Gegenüber dem grundgenervten Gert Haucke ist die gegenwärtige Vaterfigur, die Bastian Pastewka spielt, ein echtes Weichei. Dieser Papa ist immer bemüht, seiner Tochter Greta nicht nur die Welt zu erklären, sondern sie dadurch auch zu erziehen. Das erschöpft sich nicht darin, ihr den Unterschied von Dativ und Genitiv beizubringen, sondern sie auch zu einer sozialverträglichen Sprache anzuleiten. Wörter wie „Hartzer“, „Proll“ oder „Alki“ sind zu vermeiden. Im Gegenzug kommt die Tochter, sehr glaubwürdig gespielt von der zehnjährigen Mia Carla Oehring, öfters ein bisschen besserwisserisch rüber, wenn sie etwa erzählt, was sie im Sachkunde-Unterricht gelernt hat. Stellenweise nervt sie so wie Hermine Granger in den ersten „Harry-Potter“-Bänden. Vater und Tochter heute haben einander ebenso verdient wie Vater und Sohn früher. Nur waren Letztere dabei komischer.
Das implizite Wir-gegen-die-Anderen, das Vater und Tochter vereint, ist ein Kennzeichen gegenwärtiger Familienkonstellationen in einem diffus linksbürgerlichen Milieu, das sich permanent vom sozialen Abstieg in die Welt der Kevin-Väter bedroht sieht. Die Fokussierung auf die familiäre Binnenwelt ist denn auch die eigentliche Schwäche der Neuauflage von „Papa, Charly hat gesagt …“ Von der Welt draußen erwartet man keine Verbesserung mehr und durch Angst um die eigenen Besitzstände macht man die Welt auch nicht besser. Das ist der traurige Kern dieser Comedy-Serie und wohl auch der Grund, warum einige der bisher 20 produzierten Episoden offen enden und auf eine Schlusspointe verzichten. Für eine hoffentlich kommende zweite Staffel wünschte man sich mehr vom provokativen Witz des Originals. Denn „Papa, Kevin hat gesagt …“ hat das das Potenzial, als All-Age-Format im unterhaltsamsten Sinne Aufklärung zu betreiben.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 5/2016
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