Ein Krimi für Radio und Smartphone
Florian Goldberg / Heike Tauch: Gefallene Schönheit
Deutschlandradio Kultur Mo 30.07.2012, 21.33 bis 22.30 Uhr
Es beginnt so, wie es allzu häufig beginnt im deutschen Krimi: Am Anfang findet jemand eine Leiche und schreit „Bluuuut!“. Und, man mag es kaum glauben, der erste Krimi des Hörspielautorenduos Florian Goldberg und Heike Tauch fängt genau so an, wie es Grimme-Preisträger Philipp Walulis in seinem satirischen Videoclip „Der typische ‚Tatort‘ in 123 Sekunden“ (weiterhin auf YouTube zu finden) inszeniert hat.
Die Leiche, eben jene gefallene Schönheit, die dem Hörspiel den Titel gibt, ist das zur Tierschützerin konvertierte Ex-Model Kim Meinhardt (Bettina Kurt), die zwischenzeitlich die Seiten gewechselt hat und im Dienst eines Kosmetikkonzerns namens Heart, Body & Soul Cosmetics (HBSC) steht. Der Konzern will sich ein grünes Image geben und gleichzeitig ein neues Produkt auf den Markt werfen: eine Creme, die der gefährlichen Progressiven Mammomorphie (PMM) vorbeugen soll und auf den schönen Namen „Boobsbooster“ getauft wurde. Schon das Wort klingt ob der vier vokalen Os viel runder als dessen vulgäre deutsche Übersetzug „Tittenstraffer“, die bezeichnenderweise fast nur aus plosiven und frikativen Lauten besteht.
Der Begriff „Progressive Mammomorphie“, der nicht anderes bezeichnet als die fortschreitende Erschlaffung der weibliche Brust im Alter, funktioniert im Marketing-Deutsch genauso wie der Begriff „Cellulite“ für Orangenhaut: Er pathologisiert ein natürliches Phänomen und reiht es ein in die Phalanx zu bekämpfender Krankheiten. Und damit wäre der zweite Punkt von Walulis’ forensischer Analyse eines deutschen Durchschnittskrimis erfüllt: das gesellschaftlich relevante Thema. Fehlt noch das dritte Element der Typologie: die Charakterzeichnung. Dazu braucht es ein gegensätzliches Ermittlerpaar, um Spannung zu erzeugen. Das sind im Hörspiel Judith Engel als Hauptkommissarin Caro Engler und Bernhard Schütz als Hauptkommissar Karl Deixler.
Ergänzend muss eine menschelnde Rahmenhandlung her, hier der Konflikt zwischen der (natürlich) alleinerziehenden Caro Engler und ihrem 16-jährigen Sohn. Für die Handlung darf schließlich ein hochverdächtiger Fiesling aus der Konzernleitung nicht fehlen, der dann am Ende aber doch nicht der Täter ist. Ein schwuler Araber, eine reiche Erbin und eine illegale Ausländerin als Putzfrau in Nebenrollen müssen natürlich auch unbedingt dabei sein.
Nun spricht natürlich überhaupt nichts gegen die Verwendung von Klischees, wenn man denn mit ihnen spielt und sie ironisch bricht. Doch hier werden sie nur bedient und die Figuren sind leider genauso flach wie das Papier, das sie reden. Einen wichtigen Aspekt muss man Walulis’ Analyse des deutschen Durchschnittskrimis noch hinzufügen: Der Zuschauer/Zuhörer muss immer etwas lernen. Und wenn er das nicht will, wird es ihm notfalls zwei- oder dreimal um die Ohren gehauen. So gibt es denn in dem knapp einstündigen Hörspiel keinen englischen Ausdruck, der nicht sofort ins Deutsche übersetzt wird, und wenn er später wieder auftaucht, wird er gerne noch einmal übersetzt.
Das hat im Fall des vorliegenden Stücks zwei fatale Folgen: Der pädagogische Impuls degradiert den Krimi zum bloßen Hilfskonstrukt und er geht auf Kosten der Figur der Kommissarin, die zwar den deutschen Konjunktiv beherrscht, in ihrem ganzen Leben aber noch kein einziges englisches Wort gehört hat, geschweige denn versteht. Aber dafür hat sie ja nicht nur ihren Chef, sondern auch noch ihren Sohn, der ihr erklärt, was „erweiterte Realität“ eigentlich bedeutet, und der natürlich den entscheidenden Hinweis zu Lösung des Falles liefert
Und hier liegt die eigentliche Stärke dieses Hörspiels. Denn die Titelfigur, das tote Ex-Model Kim Meinhardt, hat sich gerne in virtuellen Welten herumgetrieben und dort Spuren hinterlegt. Denn eigentlich war ihr Job beim Kosmetikkonzern HBSC – der sich nicht ganz zufällig so ähnlich abkürzt wie eine für Geldwäsche berüchtigte Bank – eine Undercover-Aktion für HALO, die „Human and Animal Liberation Organisation“ (nein, das übersetzen wir jetzt nicht, und dass das englische Wort „halo“ auf Deutsch „Heiligenschein“ heißt, haben Sie auch selbst gewusst).
Den virtuellen Spuren der Kim Meinhardt kann man auch noch über das vom Deutschlandradio produzierte Hörspiel hinaus folgen, indem man sich die App „PMM13“ (für iPhone oder Android) herunterlädt und die Kamera seines Smartphones auf die Boobsbooster-Werbung (auf Postkarten, Plakaten oder auf der Internetseite www.boobsbooster.de) richtet. Dann erscheint Kim Meinhardts Avatar und man kann sich durch Fotos, Audiofiles und Dokumente zum Fall klicken. Denn nichts anderes als die Überformung und Anreicherung der realen Welt durch virtuelle Daten ist „Augmented Reality“.
Die Medienintegration von radiophonen und Smartphone-unterstützten Erzählweisen ist das, was vom Projekt „Gefallene Schönheit“ übrigbleiben wird. Finanziert haben den Web-Auftritt und die App-Entwicklung übrigens die Autoren selbst. Hoffentlich hat das niemand mitgekriegt, denn wenn das Schule macht, kann das ohnehin schon viel zu billige und unterfinanzierte öffentlich-rechtliche Radio gleich ganz einpacken.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 31/2012
Schreibe einen Kommentar