Die lustvolle Steigerung von Komplexität
Armin Chodzinski: Dr. C.’s Conversationslexikon –
F wie Feierabend und V wie Verantwortung
SWR 2 / SWR Kultur, 14. und 21.04.2024, 23.04 bis 0.00 Uhr
Seit 2015 veröffentlicht der bildende Künstler Armin Chodzinski im SWR seine ökonomischen Radio-Revuen zur Therapie grassierender Ahnungslosigkeit unter dem Titel „Dr. C.’s Conversationslexikon“. Jetzt sind die Buchstaben F wie Feierabend und V wie Verantwortung dazu gekommen.
„Was heißt es eigentlich, nicht gelernt zu haben, mit Ökonomie umzugehen? Was heißt es eigentlich, sich ständig Kräften auszusetzen, die man nicht versteht?“, fragte 2004 der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter in Stefan Weigls Hörspiel „Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen“ und gab gleich die Antwort: „Menschen, die ökonomisch unfrei sind, sind selbstverständlich auch sonst unfrei.“ Das Plädoyer für den Ausgang aus der selbstverschuldeten, ökonomischen Unmündigkeit dürfte er mit Armin Chodzinski gemeinsam haben.
Chodzinski ist kein Journalist, sondern ein bildender Künstler, der nach seiner Abschlussarbeit an der Braunschweiger Kunstakademie mit dem Titel „Armin Chodzinski muss ins Management“ tatsächlich im Management einer Lebensmittelkette gearbeitet hat. Inzwischen ist er außerdem promovierter Anthropogeograph sowie Autor und Regisseur von „Dr. C.’s Conversationslexikon“, einer „ökonomischen Radio-Revue mit und ohne Publikum“, wie er sie früher untertitelt hat. Doch platte Didaxe ist ihm fern. In einem Interview mit dem SWR-Magazin „Tandem“ hat er schließlich selbstbewusst gesagt, dass Künstler Fragen, die ihnen niemand gestellt habe, auf eine Weise beantworteten, die erst mal keiner verstehe.
Nicht nur deshalb hat Armin Chodzinski die Form des Konversationslexikons gewählt, das sich parallel zu den bürgerlichen Salons im 18. Jahrhundert entwickelt hat und in dem es weniger „um eine enzyklopädische Wahrheit, als vielmehr um die Grundierung des Gespräches, um Bildung und Vermittlung zur gemeinschaftlichen Reflexion“ ging. Dabei nähert sich Chodzinski Begriffen an, die zu Allgemeinplätzen geworden sind und von denen man kaum noch weiß, was sie bedeuten. Los ging es in der ersten Folge mit „G wie Geld“. Es folgten „S wie Schulden“, „W wie Wachstum“ und „E wie Effizienz“. Weil die Ordnung der Dinge nicht der Reihenfolge des Alphabets folgt, sind als aktuelle Lemma „F wie Feierabend“ – eine Chiffre für den Zwischenraum zwischen Arbeit und Freizeit – und „V wie Verantwortung“ dazugekommen.
„F wie Feierabend“ basiert auf einem Bühnenprogramm im „Feierabendhaus“ der Badischen Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen, bei dem Chodzinki „Werkskünstler“ war, also künstlerischer Berater für das Programm „Tor 4 – BASF fördert Kunst“. Die Radio-Revue ist unter Broadcast-Bedingungen die angemessene Form für eine gemeinschaftliche Reflexion, der zur Vertiefung auf der Website conversationslexikon.de zusätzliche Materialien zur Verfügung gestellt werden. Aber auch die Binnenstruktur der einzelnen Sendungen ist dem intellektuellen Salongeplauder angepasst. Als Dr. C. taucht Chodzinski immer mal wieder auf, bildet aber allenfalls das geheime Zentrum – in der aktuellen Folge ist sogar seine Stimme so hochgepitcht, dass man sie kaum identifizieren kann.
Sein Ensemble bestehend aus Katja Danowski, Andreas Grötzinger, Ruth Marie Kröger, und Iris Minich und dem Komponisten und Musiker Nis Kötting macht sich regelmäßig über Dr. C. als „den Vortragenden“ lustig und in der Folge „V wie Verantwortung“ ist es sogar eine fiktive Anruferin, die den Diskurs fortführt, während die Redakteurin im Studio nur mit kommunikationsfördernden „Mmhs“ und „Hahs“ dazwischen geht. So sehr Chodzinski sein Alter Ego Dr. C. für seine mit Inbrunst, Vehemenz und allerlei Spitzfindigkeit getätigten Aussagesätze verspotten lässt, die eigentlich die Elastizität seines Denkens unter Beweis stellen sollen, so genau ist seine Arbeit an den Begriffen, die er in jeder Sendung diskutieren lässt.
Natürlich kommen Begriffsdefinitionen aus historischen Lexika vor, die erste Belege für das jeweilige Wort liefern: „Verantwortlichkeit, die – siehe: Zurechnungsfähigkeit“, heißt es in Meyer’s Konversationslexikon von 1908, nachdem der Begriff bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum der Rede wert war. Im 20-bändigen Lexikon der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist das Wortfeld geradezu explodiert: es beginnt bei „verantwortbar“, „verantwortlich“, „verantworten“ und kommt über verschiedene Stationen bei „verantwortungsvoll“ an. Ein Begriff aus dem „Zeit“-Lexikon fehlt dagegen bei Dr. C.: „Verantwortungslosigkeit“. Allerdings ist der implizit in einer finsteren Form präsent: in amerikanischen Kinderliedern, die im Happy-Sound zum Mitsingen animieren: „I do what I say I’ll do / I do what I have to do / I do what I’m supposed to do. / Why? Because I’m responsible.“ So wird die Zeit schönster Verantwortungslosigkeit, in welcher Eltern für ihre Kinder haften, wegerzogen.
Machtbehauptung und Schuldzuweisung
Doch das ist nur eine Perspektive, aus der heraus der Begriff der Verantwortung betrachtet wird. Das Sprachmodell ChatGPT definiert ihn geradezu poetisch: „Verantwortung ist wie ein Baby auf deinem Rücken. Du kannst nicht einfach sagen: Hey, ich habe keine Lust mehr auf dich und es einfach absetzen.“ Verantwortung kann eine Machtbehauptung der Verantwortungsträger sein – ebenso wie eine Schuldzuweisung.
Mit dem Begriff der Verantwortung hängt der Begriff der Handlung eng zusammen. Und wo es um Handlungen geht, sind Imperative nicht weit. Chodzinski zitiert hier den sogenannten ökologischen Imperativ aus dem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit Permanenz echten Lebens auf Erden; oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen nicht zerstörerisch sind für die zukünftigen Möglichkeiten solchen Lebens.“
Hans Jonas ist der letzte Philosoph in einer Kette, die hier bei John Stuart Mill und Friedrich Nietzsche beginnt und über Max Weber bis Hannah Arendt reicht. Doch geht es nicht um das bildungsbürgerliche Abklappern einschlägiger Theorien von „responsibility“, sondern um die lustvolle Steigerung von Komplexität, wie immer, wenn Künstler Antworten auf nicht gestellte Fragen geben. Der Buchstabe K ist in „Dr. C.’s Conversationslexikon“ übrigens noch vakant.
Lachsfarbener Zweireiher
Armin Chodzinskis Radio-Revuen zur Therapie grassierender Ahnungslosigkeit verfügen über verschiedene Instrumente, Gesprächstechniken und Methoden: vom allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden bis zur paradoxen Intervention. Vom Wechsel zwischen angespannter Konzentration und lockerem Witz, bis zum Absturz einer steilen These wegen zu großer Fallhöhe. Es ist jener Humor, mit dem Chodzinski der Welt gegenübertritt, ohne je zu behaupten, sie „ironisch“ im Griff zu haben, an dem man Stücke von Armin Chodzinski genauso zuverlässig erkennt, wie seine Bühnenfigur Dr. C. an seinem lachsfarbenen Zweireiher.
Sämtliche Einträge in „Dr. C.’s Conversationslexikon“ sind auf der Website des SWR abrufbar. Auch wenn man nicht so genau weiß, was man da eigentlich gelernt hat, ahnungsloser wird man hier auf keinen Fall. Wer Komplexität bisher nur als überforderndes Angstphänomen wahrnehmen konnte, dem sei eine Therapie bei Dr. C. dringend empfohlen!
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 25.04.2024
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