Das Prinzip „Zum Beispiel“
Helgard Haug / Daniel Wetzel (Rimini Protokoll): Prinzip Held*
DLF Kultur, Mi, 24.07.2024, 22.03 bis 23.00 Uhr
Trotz des Gendersternchens bei „Prinzip Held*“ ist das Heldentum eine ziemlich exklusive Angelegenheit. Das Hörspiel zur gleichnamigen Ausstellung präsentiert die Komplexität des Gegenstands.
Es geht schon mit dem Titel los: „Prinzip Held“ heißt das neue Projekt von Helgard Haug und Daniel Wetzel von der vielfach ausgezeichneten Theater-, Hörspiel- und Performance-Gruppe Rimini Protokoll. „Prinzip Held“ ist eine Ausstellung im Berliner Militärhistorischen Museum des Bundeswehr am Flughafen Gatow.
Für die hat Rimini Protokoll mehr als vierzig Interviews mit Wissenschaftlern aus dem Sonderforschungsbereich Nr. 948 an der Universität Freiburg geführt, die sich zwölf Jahre lang mit dem Thema „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ beschäftigt haben. Aus den Interviews hat man für das Radio einen 56-minütiges Digest zusammengeschnitten. Das Sternchen am Ende eines Wortes verweist in der Regel auf eine Fußnote, hier könnte er auf die ganze Sendung verweisen, die sich als ein Fußnote zum „Prinzip Held“ versteht.
Tut er aber nicht. Hier dient er als Gendersternchen, mit der man sich die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu ans Revers heftet, das sich der sprachlichen Inklusion verpflichtet fühlt. In der gesprochenen Sprache macht das wenig Sinn, weil man diese Sternchen nicht mal an einem Glottisschlag hört, sondern es als Zeichen mitsprechen muss. Ausrufungszeichen! Aber auch inhaltlich macht das Gendersternchen hier keinen Sinn, denn Heldentum ist keine inklusive, sondern prinzipiell eine exklusive Angelegenheit.
Können alle Helden sein?
Wo alle Helden sind, ist niemand einer – auch wenn das in Bedrängnis geratene Propagandisten gerne oft anders sehen. Weil Definitionen und Begriffe immer so etwas beunruhigend Ausschließendes haben, wird sich dem Phänomen Heldentum über eine Merkmalssemantik angenähert. Beispielsweise gibt es ohne Publikum, dass ihn/sie/es verehrt keine Helden. In neun Kategorien, die hier „Heldenbausteine“ genannt werden, kann jeder Held oder jede Heldin bis zu fünf Punkte bekommen. Die Kategorien sind: „Publikum“, „Medialisierung“, „Handlungsmacht / Agency“, „Kampf“, „Grenzüberschreitung“, „Polarisierung“, „Einsatz / Commitment“, „Vorbildfunktion“ und last not least: „Maskulinität“.
Dabei kommt auch Heldinnen wie der Zarin Katharina, die als „Katharina der Große“ apostrophiert wird eine gewisse Männlichkeit zu, weil sie sich hoch zu Pferde in maskuliner Ikonographie hat porträtieren lassen. Andere Heldinnen, die im Hörspiel wie in der Ausstellung vorkommen sind Antigone und ihre Wiedergängerin Greta Thunberg, die bürgerrechtsbewegte Antirassismusaktivistin Rosa Parks oder die erste Kosmonautin im All und spätere Putin-Anhängerin Valentina Tereschkowa. Es fehlen dagegen Medea, Elektra und Penthesilea oder jene popkulturellen Heldinnen, die sich einer explizit weiblichen Ikonographie bedienen wie die gewalttätigen Heroinen von Russ Meyer bis Quentin Tarantino.
Beispiele sind keine Dramaturgie
Nun ist es Kennzeichen eines schlechten Kritikers, wenn das besprochen wird, was er gerne gehört hätte, anstatt sich dem zu widmen, was er zu hören bekommt. „Prinzip Held*“ bildet eine Ausnahme von dieser Regel. Denn weder deckt die Produktion wie im Titel versprochen ein Prinzip auf, noch thematisiert sie in ihrem Forschungsdesign ihre blinden Flecken.
Ausstellung wie Hörspiel funktionieren vielmehr nach der (Nicht-)Dramaturgie des „Zum Beispiel“, die auch als „z. B. / e. g.“ auf den Spinden in der Ausstellung steht, die jeweils einen Aspekt des Heldentums illustrieren. Das macht das Ganze – freundlich formuliert – zu einem Sammelsurium, einer Materialsammlung, bei der das eigentliche Phänomen immer unschärfer wird. „Anschauungen ohne Begriffe sind blind“, wusste schon Kant. Unterschwellig teilt sich mit, dass in einer postheroischen Gesellschaft Heldentum eigentlich überflüssig sein sollte.
Triviale Beobachtungen
Da schwebt der Satz „Unglücklich die Zeit, die Helden nötig hat“, imaginär die ganze Zeit über dem Hörspiel. Doch es gibt wohl leider keine Zeit, die keine Helden nötig hat. Auch die Ambivalenzen von Heldentum werden erst spät thematisiert. Was das Hörspiel – nicht die Ausstellung – noch ärgerlicher macht, ist die Vorstellung, dass man das hier Präsentierte für die Vorstellung der Ergebnisse ernsthafter kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung halten könnte. Dabei ist hier eher eine inszenierte Schwundform von Wissenschaftskommunikation zu hören, bei der man sich permanent fragt: Warum werden die oft trivialen Beobachtungen eigentlich so präsentiert, wie sie präsentiert werden?
In den Erläuterungen zu jedem Exponat der Ausstellung im Militärhistorischen Museum stellt sich das allerdings anders dar – ernsthafter, sachorientierter und konzentrierter. Die Ausstellung „Prinzip Held*“ läuft noch bis zum 3. November und dürfte auch darüber hinaus eine deutlich längere Halbwertszeit haben als das Hörspiel, das ein Jahr lang online steht.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 26.07.2024
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