Axel-Eggebrecht-Preis 2016 geht an Margot Overath
Der alle zwei Jahre vergebene Axel-Eggebrecht-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig geht 2016 an die Feature-Autorin Margot Overath. Der Preis würdigt Autorinnen und Autoren, die sich „mit einem von hoher Kontinuität geprägtes Werk in besonderer Weise um das Genre verdient gemacht und Maßstäbe gesetzt haben in der Fortentwicklung eines vielstimmigen Repertoires der Gattung Radio-Feature“, so das Reglement.
Die Jury begründete die Verleihung des Axel-Eggebrecht-Preises 2016 an Margot Overath mit einem Verweis auf die „10 Gebote“, die der Namensgeber des Preises aufgestellt hatte:
Nach einer ausführlichen Diskussion, in der nicht nur über Themenauswahl, Recherche, mediengerechte Ausarbeitung, Musikalität, Sprache und Rhythmus – also prägenden Elementen dieses faszinierenden Radio Genres debattiert wurde, war letztlich eine von Axel Eggebrecht selbst formulierte Anforderung an Featuremacher das ausschlaggebende Argument: Haltung. Eggebrecht formulierte es in seinen „10 Geboten“ aus dem Jahr 1947 wie folgt: „In jeder Hörfolge muss der Druck einer lebendigen Gesinnung spürbar sein.“
Eine „lebendige Gesinnung“ wird man bei Margot Overath nie vermissen. Sie „hört hin, wo andere weghören“, beschreibt sie Thomas Nachtigall vom WDR. Sie nimmt die Fäden scheinbar abgeschlossener Vorgänge und Entscheidungen auf, ordnet sie neu und plötzlich ergeben sich neue Webmuster („Nurans Tod Bericht über eine Spurensuche“). In Ihrem Porträt „Wer war Gudrun Ensslin?“ schafft Overath tatsächlich die Umdeutung eines scheinbar abgeschlossenen Bildes. Ihr Kampf um eine Klärung des Todes in Zelle 5 des Polizeigefängnisses in Dessau-Roßlau war nicht nur Inhalt von zwei Radiofeatures; der Tod des Oury Jalloh wurde dadurch von einer geschlossenen Selbstmordakte zu Verfahren gegen Beamte und einer Morduntersuchung.
Die starke Persönlichkeit der Autorin ist als gestaltender Intellekt immer spürbar, ohne aber die Themen zu überschatten oder zu dominieren. Interviews bleiben nicht an der Oberfläche, sondern gehen in die Tiefe. Die Emotionen, die in den Stimmen der Gesprächspartner liegt, bieten oft genug einen Subtext zum gesprochenen Wort; bilden Gefühle wie Trauer, Liebe, aber auch Wut und Aggression ab. Overaths Sprache ist radiogerecht: kurz, prägnant, die Erzählung vorantreibend.
„Aber Journalisten leben davon, dass sie Menschen verraten“, sagt eine Protagonistin in Jonathan Franzens aktuellen Roman „Purity“ („Unschuld“, Rowohlt). Gesprächspartner von Margot Overath können sich sicher sein, nicht verraten zu werden; angegriffen vielleicht – direkt und offen; Unklarheiten werden nachgefragt – der Hörer kann und soll sich seine Meinung bilden.
Die 1947 in Krefeld geborene Margot Overath absolvierte nach einer Banklehre und der Ausbildung zur Betriebswirtin ein Studium der Sozialwissenschaften. Ab 1980 war sie zunächst freie Mitarbeiterin verschiedener ARD-Sender, ab 1982 dann feste freie Mitarbeiterin bei Radio Bremen. Seit 1984 ist sie Radiofeature-Autorin, parallel von 1985 bis 1988 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Zwischen 1996 und 1999 war Overath nebenberuflich als Dozentin der Journalisten-Ausbildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg tätig. Ihr journalistisches Werk umfasst unter anderem eine intensive Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus in Deutschland, die beispielsweise in Features über den RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock (WDR/RB 1985) oder eine biografische Arbeit über Gudrun Ensslin (RBB/WDR/NDR 2005) mündeten und zeitgenössische ebenso wie historische Analysen wie „Ausweglos. Selbstmorde in Wendezeiten“ (RB/SFB/DLF 1992), „Es ist schwer, damit zu leben. Vom Trauma namens Auschwitz“ (RB 1994) oder „Todesmarsch. Die Evakuierung der Konzentrationslager von Januar bis Mai 1945“ (Deutschlandradio Berlin/RB 1995).
Vielfach geehrt wurde Margot Overath für ihre Features um den Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone, der 2005 in Polizeigewahrsam in Dessau ums Leben kam. Als einzige Journalistin verfolgte Margot Overath die juristische Aufarbeitung des Todesfalls durch alle Instanzen und stellte die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft in zwei Features „Verbrannt in Polizeizelle Nummer fünf. Der Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in Dessau“ (MDR/DLF/NDR 2010) sowie „Oury Jalloh. Die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls“ (MDR/WDR/NDR 2014, hier nachhörbar) in Frage. Ihre Recherchen tragen dazu bei, dass inzwischen wegen Mordverdachts gegen Unbekannt ermittelt wird.
Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird am 30. August im Leipziger Mediencampus Villa Ida vergeben. Die Jury besteht aus Richard Goll (Vorsitz, Axel-Eggebrecht-Preisträger 2010), Linde Rotta (Autorin, für die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig), Ulrike Toma (Leiterin der Abteilung Radiokunst beim NDR), Aldo Gardini (Organisator des featurepreis der Stiftung Radio, Basel) und Jens Jarisch (Leiter der Abteilung Radiokunst beim RBB). Bisherige Preisträger waren Helmut Kopetzky (2008), Richard Goll und Alfred Treiber (2010), Friedrich Schütze-Quest (2012) sowie Paul Kohl (2014).
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