Vom spitzen Kreis zum ovalen Quadrat

Im Hörspiel „Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein“ werden Herta Müllers collagierte Gedichte zu einem akustischen Kunstwerk. In der Inszenierung von Erik Altorfer wird dies von der Stimme Valery Tscheplanowas und der Komposition von Martin Schütz getragen.

Herta Müller: Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein

DLF, Samstag, 11.10.2025, 20.05 Uhr bis 21.05 Uhr
DLF Kultur, Sonntag, 12.10.2025, 18.30 bis 19.30

„Zeit ist ein spitzer Kreis“ heißt ein Stück, für das der Schriftsteller und Hörspielmacher Michael Lentz 2013 die postkartengroßen Collagen von Herta Müller in eine Hörspielform gebracht hat. Müller und Lentz lasen die Texte im Wechsel und die zusammengeschnittenen Wörter wurden im Schnittmedium Hörspiel hörbar gemacht. Jetzt hat sich der Schweizer Regisseur Erik Altorfer den Collagen Herta Müllers angenommen. Daraus wurde mit der Komposition von Martin Schütz unter dem Titel „Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein“ für den Deutschlandfunk (DLF) ein großes Solo für die Schauspielerin Valery Tscheplanowa.

Während Michael Lentz in seiner Inszenierung auf die Differenzen der Wörter, ihre Farbigkeit und Typographie setzte, verlässt sich Erik Altorfer auf die thematische Strukturierung der Texte. Diese handeln von Flucht, Vertreibung, Heimat und Exil. Herta Müller verließ 1987 Ceausescus Rumänien, das „Land wie eine dünne Brotscheibe“, nachdem sie sich geweigert hatte, für den Geheimdienst Securitate zu arbeiten. In der lyrischen Abstraktion ihrer Collage heißt das: „als ich vom Verhör kam / war ich niemandes Kind mehr / und mit mir nicht mehr verwandt […] dann lachte der mit dem und die mit der / und der mit der und die mit dem / das Eigenschaf der Angst war allen / durch die Stirn ins Maul gefallen“.

Zusammengefasst ist das in einem Gedicht, dessen verquere Satzkonstruktion zwischen Blödelei und Ernsthaftigkeit schwankt, wie Herta Müller in einem 40-minütigen Gespräch mit Ute Wegmann erzählte. Dieses wurde im Anschluss an das Hörspiel gesendet. Es lautet:

wenn mir die Zunge schwer ist
sag ich für mich ständig den einen Satz
„zum Ärger Moskaus bedient am Kiosk für die Totenscheine
an einem lebensbedrohlichen Hubschrauberlandeplatz
der kleine abgehalfterte Journalist verheiratet mit einer Ballerina
die in Gedanken hie und da nah bei ihm ist“
wenn der Satz reicht
wird mir die Zunge leicht

Das Gedicht kommt mehrfach im Hörspiel vor, auch in einer gesungenen Form.

„Wer sein Land verlässt, dem wächst es ins Gesicht“

Auch wenn der Großteil der Schriftcollagen, die Erik Altorfer für seine Inszenierung verwendet hat, nach 2015 entstanden sind, so finden sich doch einige textliche Überschneidungen mit Lentz‘ Inszenierung. Etwa die von „Zeit ist ein spitzer Kreis“ bis zum „Wind so frisch wie Milch / so alt wie Lehm“. Erschienen sind die Textcollagen unter anderem in den Bänden „Vater telefoniert mit den Fliegen“ (2012), „Im Heimweh ist ein blauer Saal“ ( 2019) und „Der Beamte sagte“ (2021). Aus dem spitzen Kreis der Zeit ist inzwischen das Oval eines mathematischen Raumes geworden, denn auf die Frage eines Wachmanns „Warum setzen sie auf Heimat zum Quadrat“ antwortet das lyrische Ich: „die einsamste Heimat / ist ein ovales Quadrat“.

Herta Mueller: Der Beamte mit dem ohohoho. Bild: Herta Müller.

Herta Mueller: Der Beamte mit dem ohohoho

Das Hörspiel ist in insgesamt elf Themenkomplexe gegliedert, die im „Land wie eine dünne Brotscheibe“ beginnen, sich über „An der Grenze“ und „Heimatlos heißt (in einem anderen Land)“, „Das Land hängt sich an mich“ über „Vorstadt im Pepitakleid (Jetzt)“ bis zum letzten Teil „und du willst glücklich sein“ erstrecken. Adressat und Thema der Texte sind oft die Beamten, denen die Autorin gegenübergesessen hat und die sie nicht verstehen konnten oder wollten. „Sie hatten einen Haufen Glück“, sagt einer der Beamten nach dem Grenzübertritt – „Wollen Sie mit meinem Leben tauschen“ antwortet das lyrische Ich, worauf der Beamte entgegnet „Das Wort Haufen nehme ich zurück“. Doch das lyrische Ich stört sich eher an dem Begriff Glück und fährt fort „Vielleicht haben auch Wörter ein schimmerndes Gemüt / und betreiben Amtsmissbrauch / ohne dass man sich Mühe gibt“.

„Wer sich Mühe gibt, hat Glück gehabt“

„Wer sich Mühe gibt, hat Glück gehabt“, heißt es bei Alexander Kluge und wahrscheinlich liegt diesem Satz ein ähnlicher Begriff von Glück zugrunde wie der Herta Müllers. Denn Amtsmissbrauch kann man der Literaturnobelpreisträgerin von 2009 nicht vorwerfen. Herta Müller jongliert mit der Schwerkraft der Wörter, die eben nicht einfach auf ihre Plätze in den Collagen fallen, sondern dahin bewegt werden wollen, wo sie am meisten Sinn ergeben.

Da Erik Altorfers Hörspielinszenierung keine zweidimensionale Fläche zur Verfügung steht, die man auf einen Blick erfassen kann, stehen die Wörter in ihrer linearen Abfolge an den zeitlichen Stellen, an denen sie stehen sollen. Sie bekommen durch die Solo-Stimme von Valery Tscheplanowa trotz ihrer Variabilität eine homogene Struktur. Wo bei Herta Müller die collagierten Wörter zu einzelnen Gedichten werden, werden sie im Hörspiel zu einem Text, der in seinen Wiederholungen neue Zusammenhänge schafft. Auch das Lineare kann so mehrdimensional sein.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 16.10.2025

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