Sterne für die Fastfood-Radiophonie

Der 8. Deutsche Radiopreis: Ausgezeichnet ist, was ausgezeichnet wird

Barbara Schöneberger führt auch 2016 durch die Gala. © NDR/Morris Mac Matzen

Barbara Schöneberger. Bild: NDR/Morris Mac Matzen.

Jetzt also die Elbphilharmonie. Und ein veritabler Bundesbankpräsident als Laudator. Und der Aufsichtsratsvorsitzende des größten deutschen Versandhauses nach Amazon. Und der Adel in Gestalt der Chefin des Hauses von Thurn und Taxis. Und Günther Jauch. Und erst die Musik-Acts: Peter Maffay, Nigel Kennedy, Beth Ditto – und Benny Andersson von Abba. Was Location, Laudatoren und Lieder angeht, hat sich der Norddeutsche Rundfunk (NDR) als federführender Veranstalter des Deutschen Radiopreises nicht lumpen lassen, als er am 7. September zur großen Gala nach Hamburg einlud.

Live übertragen wurde die Veranstaltung von 62 Hörfunksendern, darunter elf öffentlich-rechtlichen. Außerdem wurde die Gala live im Internet gestreamt und zeitversetzt von den Dritten Fernsehprogrammen der ARD gezeigt (Quote hier). Wie in den vergangenen sechs Jahren moderierte auch dieses Mal wieder die Allzweckwaffe Barbara Schöneberger die Veranstaltung. Das funktionierte in diesem Jahr besser als im vorigen. Denn 2016 konnte man den Eindruck haben, dass ihre Begeisterung für Fleisch- und Wurstsalate, für die sie damals Fernsehwerbung machte, um mehrere Zehnerpotenzen ehrlicher und authentischer war, als die für die Preisträger, die sie anzukündigen hatte. Inzwischen ist der Habitus der routinierten Ranschmeiße auf Thomas-Gottschalk-Niveau. Also alles bestens.

So viele Verpacker

Bild: NDR/Gita Mundry

Interessieren da noch die Preisträger in den elf Kategorien, in denen der Deutsche Radiopreis verliehen wird?  Immerhin gab es in diesem Jahr 381 Einreichungen, aus denen eine elfköpfige Jury des Grimme-Instituts die insgesamt 33 Nominierungen ausgewählt hatte, also drei pro Kategorie. Wer einen der unotierten den Deutschen Radiopreise gewinnt, kann sich als Trophäe einen oben einseitig abgerundeten Acrylglasblöcke ins Studio stellen. Was man aus der bisherigen Geschichte des von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Privatradios sowie deren gemeinsamer Marketingplattform Radiozentrale und den Vermarktern ARD-Werbung Sales & Services (AS&S Radio) und Radio Marketing Service (RMS) in Zusammenarbeit mit dem Marler Grimme-Institut und der Stadt Hamburg gestifteten Preises lernen kann, ist, dass bei so viel Verpackern das eigentliche Produkt nur eine nachgeordnete Rolle spielt.

Wer erwartet, dass bei einer Preisverleihung etwas Herausragendes ausgezeichnet werden soll oder zumindest etwas unerhört Mutiges oder auch nur Sendungen, die laut Statut „in besonderer Weise durch ihre Qualität die Stärken und Möglichkeiten des Mediums vorführen und hervorheben und die damit auch beispielhaft wirken“, der ist beim Deutschen Radiopreis an der falschen Adresse. Denn hier hat man es mit dem Äquivalent eines Promi-Formats aus dem Privatfernsehen zu tun, dem zufolge jeder prominent ist, der in ein Promi-Format eingeladen wird. Nach ähnlich erhabener Zirkularität und Selbstreferenzialität funktioniert der Deutsche Radiopreis: Ausgezeichnet ist, was ausgezeichnet wird, und weil es ausgezeichnet wurde, ist es ausgezeichnet.

Warum macht man das?

Es gibt ein großes Bedürfnis nach Anerkennung auch und gerade in Medienbreichen, die sich sonst keiner gesteigerten medialen Aufmerksamkeit erfreuen dürfen. Da ist ein Preis, der im Rahmen einer pompösen Gala verliehen wird, natürlich hilfreich – auch und gerade für die Motivation der Produzenten. Denn selbst innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten hat das Radio im Vergleich zum Fernsehen kein besonderes Standing. Im Vergleich zu den Produktions- und Rechtekosten für das Fernsehen ist es einfach viel zu billig. So billig, dass sich damit sogar im privatwirtschaftlichen Sektor Renditen erzielen ließen.

Das Wichtigste beim Deutschen Radiopreis ist also, dass das gewürdigt wird, was wohlfeil ist, nämlich das, was man gewöhnlich Tag für Tag wegsendet, und nicht etwa das Außergewöhnliche, in das man Zeit, Geld, Personal und Herzblut investieren muss. Der durchaus beabsichtigte Nebeneffekt dabei ist, dass die Privatfunkanbieter, die den Deutschen Radiopreis mitveranstalten, auch die Chance auf ein Bienchen in ihrem Hausaufgabenheft haben. Bei den Fernsehpreisen haben die privaten Sender ja mangels Qualität und dem vergleichsweise bescheidenen Volumen von Eigenproduktionen grundsätzlich eher schlechte Karten. Doch beim Deutschen Radiopreis haben die Privatfunker 2017 so viele Preise abgeräumt wienie zuvor, nämlich sieben von elf. Bei den Normierungen war das Verhältnis von 17 privaten zu 16 öffentlich-rechtlichen Produktionen quasi ausgeglichen.

Wie macht man das?

Was aber prämiert man an einem Radioprogramm, das kostenoptimiert funktionieren soll, ohne dass der Hörer draußen im Lande es merkt? Ganz einfach: Man schließt kategorial alles aus, was irgendwie den Eindruck vermitteln könnte, dass das Radio mehr sein kann als ein Nebenbei-Medium, bei dem man alles mögliche andere machen kann, außer aufmerksam zuzuhören. Seit der Zulassung des privaten Hörfunks in der Bundesrepublik 1984/85 ist diese Strategie enorm erfolgreich, wie man in den Interviews am Rande des Deutschen Radiopreises immer wieder hören konnte. Kaum einer verband mit dem Radio etwas anderes als ein durchformatiertes Hintergrundrauschen mit ein paar Nachrichten und Info-Häppchen zwischendrin. Ob der Absender ein privater oder öffentlich-rechtlicher ist, ist dabei ziemlich egal.

Erstaunlich offen sprachen in den letzten Jahrzehnten die Programmverantwortlichen des beitragsfinanzierten Rundfunks davon, dass das, was sie „Redakteursradio“ nannten, angeblich niemand mehr hören wolle. Also holte man sich teure Radioberater (gerne aus Amerika) und begann seine Wellen mit einem neuen Sound-Design zu versehen, die Programme durchzuformatieren und das Niveau zu nivellieren – und zog sich nebenbei ein Publikum heran, das nur noch wählen konnte, ob es seinen Hamburger lieber gebraten oder gegrillt haben wollte. Der Deutsche Radiopreis vergibt seit 2010 die Sterne für diese Art der Fastfood-Radiophonie. Köche braucht es dafür nicht, sondern Lebensmittelchemiker deren Geschmacksverstärker Audiokompressoren sind. Der Deutsche Radiopreis ist eigentlich der Deutsche Formatradiopreis.

Das im Hinterkopf, kann man die Kategorien des Wettbewerbs so definieren, dass alles ausgeschlossen wird, was im Privatradio nicht stattfindet. Preiswürdig ist nur, was in ein vorformatiertes Schema passt. Zu prämieren sind also eine Morningshow wegen der Reichweite, ein Moderator und eine Moderatorin für die Hörerbindung, eine Programmaktion für die On- und Off-air-Präsenz und ein Comedy-Format gegen die sich durch die schwer rotierende Musikauswahl unweigerlich einstellende Depression. Außerdem braucht es noch ein paar klassische Radioformate wie Interview, Reportage und Nachrichten, ohne die man (also ein kommerzieller Sender) bei den Landesmedienanstalten nicht als Vollprogramm durchgeht. Zusätzlich wird beim Deutschen Radiopreis noch ein Newcomer ausgezeichnet (nur ein Preis, nicht gegendert) und als unspezifische Joker-Kategorien kommen noch die „beste Innovation“ und die „beste Sendung“ dazu. Als beste Innovation wurde 2017 übrigens weder das zweiteilige Feature „Zur Herstellung von Aussagebereitschaft“ (Deutschlandfunk Kultur) nebst der dazugehörigen Virtual-Reality-App noch die Radio- und Web-Serie „Wishlist“ (Radio Bremen/MDR Sputnik/Funk) ausgezeichnet, die beide nominiert waren, sondern ein Casting-Format (!) des Privatsenders Radio Gong 96.3 aus München. Kann man sich nicht ausdenken sowas.

Wer sucht sich so was aus?

Von links: Matthias Lührsen, Nora Jacob, Torsten Hennings, Marina Riester, Torsten Zarges, (Jury-Vorsitzender), Inge Seibel-Müller, Frauke Gerlach (Leiterin des Grimme-Instituts), Yvonne Malak, Friedrich-Wilhelm Kramer, Georg Bergheim, Wilfried Sorge und Viktor Worms. © Jack Ackenhausen/Grimme-Institut.

Die Jury in jeansblau.
Bild: Jack Ackenhausen/Grimme-Institut.

Hat man die Kategorien so designt, dass alle Preisstifter damit zufrieden sind, braucht es noch eine Jury, die alle Preisstifter zufriedenstellt. Dieses elfköpfige Gremium wird vom Grimme-Institut berufen und besteht aus Journalisten, Unterhaltungs- und Marketingstrategen, Programmchefs und Kommunikationsexperten. „Die Mitglieder der Jury“, heißt es dazu auf der Website des Deutschen Radiopreises, „sind unabhängig und dürfen in keinem Arbeitsverhältnis oder einer entsprechenden Organstellung zu einem der Hörfunkprogramme der ARD, des Deutschlandradios und der privaten Radiosender in Deutschland stehen.“ Die meisten Jury-Mitglieder haben aber eine Vergangenheit im Privatradio und/oder im Marketing und beraten, schulen oder coachen irgendwen.

Dass ausgerechnet jenes Institut, das, unterstützt von der Crème de la Crème der deutschen Fernsehkritik, die angesehensten deutschen TV-Preise vergibt, auch diese deutschen Radiopreise vergibt, das überrascht nicht nur, das verwundert geradezu. Dass bei manchen der so prominenten Laudatoren bei der Verlesung der Begründungen der Grimme-Jury (das Wort „Grimme-Jury“ wird dabei stets sehr betont) ein Hauch Ungläubigkeit in der Stimme mitschwang, ist bestimmt nur einer verzerrten Wahrnehmung geschuldet.

Der Beirat des Deutschen Radiopreises: (v.l.) Matthias Wahl, Rainer Poelmann, Joachim Knuth, Valerie Weber, Gert Zimmer, Elke Schneiderbanger, Heinz-Dieter Sommer, Frauke Gerlach, Lutz Kuckuck, Carsten Brosda, Jens Müffelmann. DEUTSCHER RADIOPREIS 2017, am Donnerstag (7. September 2017). © Deutscher Radiopreis/Benjamin Hüllenkremer.

Der Beirat in galaschwarz. Bild: Deutscher Radiopreis/Benjamin Hüllenkremer.

Neben der Grimme-Jury gibt es noch einen Radiopreis-Beirat, der in den vergangenen Jahren immer mindestens einen Sonderpreis vergeben hat. Die so Geehrten waren beispielsweise Phil Collins und Udo Lindenberg, SWF-3-Erfinder Hans-Peter Stockinger und RTL-Radiomoderator Arno Müller. Dieses Jahr vergab der Beirat keine solche Auszeichnung. Auf Nachfrage beim NDR hieß es dazu, der „Sonderpreis Musik“ sei dieses Jahr ausgesetzt worden, „da beim künstlerischen Programm der besondere Veranstaltungsort Elbphilharmonie im Mittelpunkt stehen sollte“. Zudem habe sich der Beirat schon 2015 dazu entschlossen, den „Sonderpreis für ein Lebenswerk“ nicht mehr zu verleihen, um so Platz für die weitere (insgesamt elfte) Kategorie „Bester Newcomer“ zu schaffen, in der der Preis dann von der Grimme-Jury vergeben wird.

Sind wenigstens die Preisträger glücklich?

„Wenn man sich die Nominierten anschaut, denke ich mir auch in diesem Jahr, dass [das] Radio kaputt ist. Oder die Jury.“ So hatte sich der Journalist Sebastian Pertsch (Mitinitiator des Online-Projekts „Floskelwolke“) via Twitter schon am 31. August im Vorfeld der Preisverleihungsgala geäußert. Das Traurigste an diesem Tweet ist das leider berechtigte „auch in diesem Jahr“. Denn auffällig war die Homogenität, um nicht zu sagen: die Austauschbarkeit, in der die ausgezeichneten Moderateusen und Moderateure Moderatorinnen und Moderatoren, Redakteurinnen und Redakteure präsentiert wurden und sich präsentierten.

Medienkorrespondenz 19/2017All die Preisträger lobten brav ihre Teams und einige bedankten sich explizit bei ihren Chefs dafür, dass sie das tun durften, wofür sie angestellt sind. Denn weil von der Musikauswahl bis zum Sendebetrieb das Radio voll digitalisiert ist, scheint die die Angst groß zu sein, dass in Zukunft auch die Stimmen durch eine Sprachsynthese-Software wie „VoCo“ von Adobe ersetzt werden können. Eine Software, die nur noch ein zwanzigminütiges Stimmsample braucht, um beliebige Texte in den Äther zu husten. Aber auch die flachen Witze der Comedy-Formate lassen sich bestimmt bald mit ein paar KI-Algorithmen aus Twitter destillieren und rekombinieren. Ob sich dann noch genug Preisträger für einen Formatradiopreis wie den Deutschen Radiopreis gegenwärtigen Zuschnitts finden lassen? 2018 soll die Preisverleihungsgala nach dem einmaligen Gastspiel in der Elbphilharmonie im Übrigen wieder im „Schuppen 52“ im Hamburger Hafen stattfinden.

Jochen Meißner — Medienkorrespondenz 19/2017

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