Zwischen O-Ton und Inszenierung

Das Hörspiel „Auch wenn es dunkel ist“ verarbeitet Zeugnisse vom 7. Oktober 2023 – dem Tag des Hamas-Massakers. Die szenische Umsetzung dokumentarischer O-Töne bewegt, wirft aber auch die Frage auf, wie man dem Schrecken inszenatorisch beikommen kann.

Sharon On und Dirk Laucke: Auch wenn es dunkel ist – Berichte vom 7. Oktober

RBB Radio3, So, 05.10,2025, 16.00 bis 17.00 Uhr,
Mo, 06.10.2025, 19.00 bis 20.00 Uhr

Am 7. Oktober jährt sich zum zweiten Mal das Massaker der palästinensischen Terror-Miliz Hamas, dem 1200 Menschen zum Opfer fielen und bei dem 251 entführt wurden. Im Krieg, den Israel seitdem gegen die Hamas führt, sind mehr als 60.000 Palästinenser ums Leben gekommen. Die Theaterregisseurin Sharon On hat zusammen mit dem Dramatiker und Hörspielautor Dirk Laucke Aussagen der Opfer des größten anti-jüdischen Pogroms seit der Schoah – und der Ursache dieses Krieges – gesammelt und im Januar dieses Jahres als szenische Lesung im tak, Theater Aufbau Kreuzberg, aufgeführt. Dieses Material haben die Autoren jetzt auch als 61-minütiges Dokumentarhörspiel „Auch wenn es dunkel ist – Berichte vom 7. Oktober“ inszeniert.

Insgesamt fünfzehn als „Zeugnisse“ etikettierte Aussagen haben die Autoren in fünf Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel „Kibbuzim“ beginnt mit einem O-Ton eines Telefongespräch einer verängstigen Frau, die sich im Schutzraum ihrer Wohnung, der ihr Schlafzimmer ist, unter ihrem Bett versteckt. Ihr Bruder versucht sie am Telefon zu beruhigen. Dennoch teilen sich zwölf Stunden Todesangst unmittelbar mit. Man hört ihre um Fassung ringende Stimme auf Hebräisch und dann etwas verzögert auf Deutsch nachgesprochen (und dabei allerdings ein wenig zu panisch akzentuiert).

„Es ist nicht rechtmäßig“

Dokumentarische O-Töne aus der Unmittelbarkeit des Schreckens wechseln mit Berichten von Überlebenden im Nachhinein. Die Geschichten sind gleichermaßen bedrückend. Da ist der in Israel lebende Palästinenser Hamid, dessen Frau von den islamistischen Terroristen auf Motorrädern per Drive-by-Shooting ermordet wird. Sie stirbt noch im Auto. Dann versucht er, sein sieben Monate altes Baby zu schützen, und gerät dabei zwischen die Fronten. „Es gab nichts, was rechtfertigen würde, was am 7. Oktober geschah“, sagt Hamid später und fährt fort: „Wir sind eine religiöse Familie. Wir kennen unseren Koran sehr gut. Sie wurde gesehen, man sah ihr Kopftuch. Trotzdem haben sie geschossen. Es ist nicht rechtmäßig. Es gehört nicht zum Islam. Sie haben kein Gesetz, und sie haben keine Religion, und Palästina interessiert sie nicht.“ Auch dass die Hamas ihre Gräueltaten filmt und sich damit auf Social Media brüstet, wird erwähnt – ohne die O-Töne zu reproduzieren.

Im zweiten Kapitel geht es um das Nova-Festival in der Wüste, zu dem sich Techno-Fans aus aller Welt trafen. Doch was den Besuchern zunächst als Feuerwerk erschien, waren Raketen. Es entwickelt sich ein Chaos, in dem Menschen in völlig überfüllten Autos zu flüchten versuchen, während sie von allen Seiten beschossen werden. Das dritte Kapitel widmet sich der Mefalsim-Kreuzung, von der ein Vertreter von ZAKA, einer ehrenamtlichen Organisation zur Identifizierung von Katastrophenopfern, berichtet: „In einer Woche habe ich hunderte Leichen gesehen. In nur drei Tagen haben wir die Ausrüstung verbraucht, die wir sonst in vier Jahren benutzen.“

In Kapitel vier berichten Geiseln von ihren Leiden in den Tunneln des Gazastreifens. Kapitel fünf ist der Trauer gewidmet und darin erzählen die Eltern die Geschichte ihrer Tochter Shani, die auf einem Pickup als Vergewaltigungsopfer in Gaza zur Schau gestellt wurde. Der einzige bittere Trost ist, dass sie zu dem Zeitpunkt wohl schon tot gewesen ist. Eine Zeile aus Shanis Song „Beit“ lieferte den Titel des Hörspiels „Wenn es dunkel ist, wo gehe ich dann hin? Wenn es keinen anderen Ort gibt, den ich Zuhause nennen kann?“

O-Ton und Inszenierung

Besonders im letzten Teil wird deutlich, dass die ästhetische Methode dieses Stücks, O-Töne mit nachgespieltem Voice-Over zu verkoppeln, nicht unproblematisch ist. Dem realen Schrecken ist mit einer Inszenierung nicht beizukommen. Manchmal steigert das Voice-Over die Empfindung gegenüber dem Originalton, wie im ersten Teil des Hörspiels, mal bleibt sie hinter ihr zurück, wie im letzten Teil. Die Erfahrungswelten sind und bleiben hörbar zu unterschiedlich. Man spürt die Absicht der Emotionalisierung und ist verstimmt. Haben die Autoren dem O-Ton-Material nicht getraut oder war es ihnen im Gegenteil zu erdrückend?

Es gibt im Hörspiel eine lange Tradition, dokumentarisches Material zu inszenieren, die von Peter Weiss‘ Oratorium in elf Gesängen „Die Ermittlung“ (1965) über unkommentiert montierte Originaltöne wie in den Stücken von Paul Wühr bis zum Requiem „Crashing Aeroplanes“ (2001) von Andreas Ammer und FM Einheit reichen. Das sind alles legitime Verfahren, die entweder in referierender Kühle, im Vertrauen auf das Material oder in kontrastiver Überformung funktionieren.

Ebenso legitim ist es fremdsprachige Texte nachzusprechen. Eine schauspielerische Inszenierung gerät aber immer in das Dilemma, sich entweder allzu sehr in den Vordergrund zu spielen, oder hinter dem Original zurückzubleiben. So funktioniert das Hörspiel „Auch wenn es dunkel ist“ eher über seinen Inhalt als über seine Form.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 01.10.2025

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