Vom Mutti-Tasking zum Zompire

Wenn man in einem Computerspiel für die Mutterschaft trainiert, dann kann man zwar „Schlafdiamanten“ sammeln, schickt aber womöglich den realen Sohn nach Madagaskar. In der satirischen Groteske „Mama Mega“ von Ava Tabita Yul wird das Muttersein zur absurden Mischung aus Überforderung und digitalem Wahnsinn.

Ava Tabita Yul: Mama Mega

RBB Radio 3, So., 02.11.2025, 16.00 bis 17.00 Uhr
und Mo., 03.11.2025, 19.00 bis 20.00 Uhr

Im Vergleich zu ihrem Muttersein war ihr Job als Managerin ein Scheißdreck, sagt Liv: Kein Mitarbeiter habe sie je geweckt, ihr Kissen bekotzt oder sie vollgeheult, während sie auf der Toilette saß. Als unbezahlte Chefin eines „Familienunternehmens“ mit 168-Stunden-Woche passiert ihr genau das. Weshalb sie sich bei Frau Dr. Wu beklagt, die ihr als therapeutische Maßnahme das Computerspielreihe „Mama Mega“ empfiehlt. „Mama Mega“ ist auch der Titel des ersten Theaterstücks der unter dem Pseudonym Ava Tabita Yul schreibenden Psychologin. Nach der Uraufführung an der Berliner Volksbühne im Dezember 2024 ist das Stück jetzt von Dunja Arnaszus für das Hörspiel bearbeitet und inszeniert worden.

Im Hörspiel wird „Mama Mega – Duty Calls“ von den beiden Podcasterinnen Bea und Twi (Birte Schnöink und Flavia Lefèvre) vorgestellt, die ganz begeistert davon sind, wie man sich von der „Mutti“ über die „Mummy“ hin zur „Supermum“ und „MegaMum“ hochleveln kann – von „Tradwife“ bis zu einer Lara Croft des Haushalts. Wie das geht? Mittels „Mutti-Tasking“, also dem weiterentwickelten, parallelen Erledigen mehrerer Aufgaben. Beispiel gefällig? Das Baby muss bewegt und die Küche gewischt werden – also wird das Baby zum Wischmopp. Ergebnis: „Je schneller du bist, umso mehr Schlaf-Diamanten bekommst du. Je einfallsreicher die Kombinationen der Tasks, umso mehr abgepumpte Muttermilch steht im Freezer.“

Kinder als Parasiten

Und das ist erst der Anfang des Computerspiels, mit dem die groteske Gamification des Mutterseins zelebriert wird. Denn natürlich färbt das Spiel auf die reale Welt ab, besonders, wenn Mum auf dem Handy die „MAMA-Got ya!“-App installiert hat und einen Tracker trägt. Der zeichnet die eigene Care-Arbeit auf und nervt nachts mit unabschaltbar lauten Schreibabys, falls die Aufgaben des Tages nicht ordentlich erledigt wurden. Außerdem werden die Herausforderungen natürlich immer schwieriger. Pro Level kommt ein Kind dazu – und ab der Spielvariante „Mama Mega – Single Mum“ mit drei Kindern wird es unübersichtlich.

Mama Mega sagt: „Erziehung ist Erpressung“ und die Therapeutin Dr. Wu (Ursula Werner) versteigt sich sogar dazu, die Kinder mit Toxoplasmen zu vergleichen – also mit parasitären Bakterienstämmen, die das Verhalten ihrer Wirtstiere kontrollieren. Gegen die Überforderung verschreibt Dr. Wu als paradoxe Intervention ein düsteres Gaming-Sequel namens „Mama Mega Zompire – Dark Side of the Womb“ (Die dunkle Seite des Mutterleibs), in dem die Mutter lustvoll Vampir-Zombie-Babys massakrieren darf.

Diese Szenen comic- oder tarantinohafter Brutalität gehören zu den lustigsten des Hörspiels (Komposition und Sounddesign: Peta Devlin und Thomas Wenzel). Das ist auch der Moment, an dem Mutter Marlis sich mit dem Gedanken beschäftigt, ihren Sohn Lufta nach Madagaskar zu schicken und dort sich selbst zu überlassen – aus finanziellen Gründen. So könne sie den anderen Sohn, das Ausnahmetalent Mane, besser fördern – eine Win-win-Situation, denn: „Lufta ist süß, der findet sicher Unterstützung.“

Satirische Überzeichnung mit rückwärtsgewandter Utopie

Die satirische Überzeichnung des Effizienzdenkens funktioniert in „Mama Mega“ ganz hervorragend. Was leider nicht so gut funktioniert, ist die Figurenzeichnung. Denn dass es sich bei Marlis und Liv um zwei Mutterfiguren handelt, wird erst spät im Hörspiel klar. Zu ähnlich sind sich Fiona Metscher und Eva Löbau in ihren Rollen, als dass man sie charakterlich auseinanderhalten könnte – zumal es in dieser grotesken Satire nicht um Charakterentwicklungen geht. Aber auch Ursula Werner als Dr. Wu kommt stimmlich ein wenig zu märchentantenhaft rüber, denn als Therapie-Tante, die brutale Computerspiele verschreibt und am Schluss doch noch das Jugendamt ruft. Wenn sie aber nicht die Superschurkin in dem Spiel ist, welche Rolle nimmt sie stattdessen ein?

Am Ende bekommt das Fünf-Frauen-und-ein-Kind-Stück – neben den Podcasterinnen, den Müttern und Dr. Wu kommen Nina Kronjäger als Erzählerin und Juno Walser als Mane hinzu – doch noch einen Hoffnungsschimmer. Im Computerspiel „Mama Mega – Neolithic Respawn“ geht es um eine matrilineare und -lokale, hortikulturalistische und akephale Steinzeitgesellschaft nach der „Rope-Revolution“ – und schon dieser Drahtverhau aus ungebräuchlichen Fremdwörtern schürt ein gewisses Misstrauen in diese rückwärtsgewandte Utopie. Bis dahin aber ist man von „Mama Mega“ bestens unterhalten worden.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 30.10.2025

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