Strategien der Angstproduktion
Das 22. Hörspielforum NRW
Die Floskel, dass man „die Ängste der Bürger ernst nehmen“ solle, ist im politischen Sprachgebrauch inzwischen so allgegenwärtig, dass einem dabei kaum noch bewusst wird, dass der Satz schlicht bedeutet, (sich) deren Ressentiments zu bedienen. Doch es ist nicht immer und nicht nur die Politik, die sich Ängste zunutze macht. Zuvor war es schon die Versicherungsbranche, die es seit dem 17. Jahrhundert verstanden hat, Ängste zu bewirtschaften, und von Anbeginn war es die Kunst, die ihnen Ausdruck verlieh und die Ängste im besten Fall durch Jammer, Schauder und Mitleid überwand. So war denn auch das Thema „Angst machen“, um das es beim 22. Hörspielforum NRW ging, das die Film- und Medienstiftung NRW vom 23. bis 25. September beim WDR in Köln ausrichtete, nicht nur einem klassischen Bereich der Kunst gewidmet, sondern es war auch von bedrückender Aktualität.
Gegenwärtig ist es wieder die Versicherungswirtschaft, die sich Sorgen macht. Seit Jahren erstellt der genossenschaftliche R+V-Versicherungskonzern Studien zu den Ängsten der Deutschen. Johano Strasser, Schriftsteller und Mitglied der SPD-Grundwertekommission, hielt beim Hörspielforum einen Vortrag mit dem Titel „Angst und Angstbewältigung“ und referierte darin, wie sehr die Anzahl der Menschen mit irrationalen Ängsten gestiegen sei und dass sie, so die Studie, gerade in Friedenszeiten ein außergewöhnliches Niveau erreicht habe. Dass dafür der Neoliberalismus, die Abwälzung sämtlicher Lebensrisiken auf den Einzelnen, die nachlassende Bindungskraft traditioneller Institutionen, der Druck durch Flexibilisierung und Individualisierung als Ursachen ausgemacht werden, passt natürlich auf einen sozialdemokratischen Bingo-Zettel. Und auch die Rezepte zur Angstbewältigung hörten sich ähnlich an: Stärkung kleinerer sozialer Einheiten, Kontrolle der sozialen Netzwerke und so weiter und so fort.
Die Zerstörung des rationalen Diskurses
Der Historiker Jan Plamper, Bruder des Hörspielmachers Paul Plamper, begab sich beim Versuch, eine Antwort zu geben auf die Frage „Angst machen – wie genau?“, auf emotionshistorische Erkundungen (s.a. Geschichte und Gefühl – Grundlagen der Emotionsgeschichte). Mit Beginn der experimentellen Psychologie im 19. Jahrhundert seien die Emotionen vom Objekt philosophischer Reflexion zu einem Gegenstand der empirischen Wissenschaften geworden. Gegenwärtig taugten sie sogar als Legitimationsgrundlage politischen Handelns, wenn beispielsweise ein hoher Beamter des US-amerikanischen Heimatschutzministeriums das gut feeling (Bauchgefühl) habe, dass ein großer Anschlag bevorstehe. Vor den Anschlägen des 11. September 2001 sei eine solche Argumentation schlicht nicht vorstellbar gewesen, führte Plamper aus. Die vorsätzliche Zerstörung jedes rationalen Diskurses ist denn auch eine der wirksamsten Strategien der Angstproduktion. Nach dem heute um sich greifenden rechtspopulistischen Denken ist alles, was sich oberhalb der Eingeweide abspielt, verdächtig und „denen da oben“ oder der von ihnen gesteuerten „Lügenpresse“ ist sowieso nicht zu trauen.
Für eine lustvolle Art der Angstproduktion steht der Filmemacher und Hörspielautor Jörg Buttgereit („Nekromantik 1 & 2“, „Schramm“, „German Angst“). Schon seit seiner frühesten Jugend gehörten die Monster (King Kong, Godzilla) zu seinen Freunden. Angst hatte er eher vor den Leuten mit den Fackeln und Mistgabeln. Im Lauf der Entwicklung habe jedoch – was den filmischen Bereich angeht – „der Horror seinen Schrecken verloren“, während in Zeiten, in denen es wirklich übel zuging, die Leinwand stets sauber gewesen sei. Gesellschaften, die das Genre zuließen, seien in der Regel die stabileren, aber, so Buttgereit weiter, man könne die Leute halt nicht zu ihrem Glück zwingen – also dem Konsum von Horrorfilmen und -hörspielen.
Hörspiel als akustische Ekphrasis
Die Frage, wie man als Hörspielmacher mit den Strategien und Techniken der Angstproduktion umgeht, war beim Hörspielforum den geschlossenen Arbeitsgruppen vorbehalten, die sich der Stoffentwicklung, der Dramaturgie, der Schauspielführung, der Tontechnik und der Kritik widmeten. Überraschenderweise war eine der Antworten auf den Umgang mit den Schrecken des Realen schon im Hörspielforum des vorigen Jahres gegeben worden. In der Arbeitsgruppe von Michael Lentz zum Thema „Hörspiel als akustische Ekphrasis im Zeichen von Terror und Gewalt“ wurden die nach dramaturgischen Regeln aufgebauten und an Grausamkeit nicht mehr zu überbietenden Videos der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gesichtet, die Reaktionen darauf aufgenommen, Texte dazu geschrieben und ein Hörstück daraus gemacht. Das Ergebnis dieses psychoästhetischen Experiments war durchaus heterogen und reichte von hörbarem Entsetzen über einen unerträglichen Versuch der Ästhetisierung bis zu einem Satz, der auf einen Schlag eine ganze Ästhetiktradition des Schönen, Guten, Wahren verabschiedete: „Es ist nur dann schön, wenn es nicht wahr ist.“
Bei den Teilnehmern des Hörspielforums NRW 2016 war eine gewisse Hilflosigkeit zu bemerken gegenüber dem effizienten Angstmarketing verschiedener Akteure, die die Angst, auf die sie zu reagieren behaupten, erst hervorrufen. Da hilft wohl nur ein Perspektivwechsel – und natürlich der Konsum der humorvollen Horrorhörspiele von Jörg Buttgereit.
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