Konservativer Nihilismus bei der Arbeit
Peter Kreysler: Virtuelle Propaganda
SWR 2, 25.08.21, 19.05 bis 19.56 Uhr; Bayern 2, 28.08.21, 13.05 bis 13.56 Uhr; SR2 KulturRadio, 28.08.21, 17.04 bis 17.56 Uhr; Antenne Saar, 28.08.21, 17.04 bis 17.56 Uhr; Wdh. 30.08.21, 19.00 bis 19.56 Uhr; Bremen Zwei, 28.08.21, 18.05 bis 18.56 Uhr; NDR Info, 29.08.21, 11.04 bis 11.55 Uhr; Wdh. 29.08.21, 15.04 bis 15.55 Uhr; NDR Info Spezial, 29.08.21, 11.04 bis 11.55 Uhr; Wdh. 29.08.21, 15.04 bis 15.55 Uhr; WDR 5, 29.08.21, 13.04 bis 13.55 Uhr; Wdh. 29.08.21, 20.04 bis 20.55 Uhr; MDR Kultur, 29.08.21, 18.00 bis 18.51 Uhr; HR2-Kultur, 29.08.21, 18.05 bis 18.56 Uhr
Peter Kreysler: Walhkampf under Cover, ARD, 30.8.21, 23.05 bis 23.50 Uhr
Arthur Rimbauds zu Tode zitierter Ausspruch „Ich ist ein anderer“ gehört ebenso zum Repertoire der Moderne wie zur Welt des nachrichtendienstlichen Geschehens. Im Podcast-Gewerbe ist dieser Spruch allerdings dem Verdikt des Authentischen und des mit sich selbst Identischen zum Opfer gefallen. Weil allzu oft in aller Unverschämtheit „Ich“ gesagt wird, irritiert es, wenn jemand „Ich“ sagt und damit offensichtlich nicht sich selbst meint. So geschehen in der Fernsehreportage „Wahlkampf undercover“ (ARD/NDR/RBB, im Rahmen der Reihe „Die Story im Ersten“, Mo 30.8.21, 23.05 bis 23.50 Uhr, Produktion: Filme & Consorten). Da ist es der ausgezeichnete Hörbuchsprecher Frank Arnold, dessen erster Satz ist: „Mein Name ist Kreysler, Peter Kreysler.“ Die Stanze zitiert die Vorstellungsroutine des Doppel-Null-Agenten James Bond, und das nicht einmal völlig zu Unrecht.
Doch um Kreyslers Fernsehreportage soll es hier nicht gehen, sondern um sein vom NDR produziertes 51-minütiges Radiofeature, das auf dem gleichen Recherche- und O-Ton-Material basiert wie der Film. Der Hörfunkbeitrag hat jedoch mit „Virtuelle Propaganda“ einen anderen Titel erhalten und setzt auch etwas andere Schwerpunkte. Ausgestrahlt wurde die 51-minütige Sendung im Rahmen der gemeinschaftlichen Reihe „Das ARD-Radiofeature“, so dass sie im Zeitraum vom 25. bis 29. August auf allen Kultur- und Info-Programmen der neun Landesrundfunkanstalten zu hören war. Von Dreien (NDR, SR, WDR) gleich mehrfach Mal. Will heißen: ein einziges Stück nimmt 14 Sendeplätze ein. Das muss diese Vielfalt sein, auf die der deutsche Rundfunkföderalismus einmal so stolz war.
Der Hörfunkbeitrag unterscheidet sich von der Fernsehreportage in ausreichendem Maß, um einen eigenen Sendetitel zu rechtfertigen. Im Radio spricht Peter Kreysler sich selbst – wenn auch wiederum in der Rolle eines fiktiven Wahlkampfmanagers namens Hans-Peter Schwarz. Dazu hat der Autor sich die Unterstützung der Partei „Die PARTEI“ gesichert. Der Name ist ein Akronym der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“. Es ist die Partei um den Satiriker und Abgeordneten des Europaparlaments Martin Sonneborn. Ausgestattet mit einer Legende der an der Wahlurne noch nicht so erfolgreichen Partei, die aber mit Millionen Klicks im Netz ein großer Player ist, macht sich Kreysler als fiktiver Wahlkampfmanager und somit undercover auf den Weg zu den großen PR-Agenturen in London. Bei der Agentur „Kanto Systems“ beispielsweise trifft er unter anderem Thomas Borwick, der sich gern „Mr. Brexit“ nennen lässt. Auch die Agentur „New Century Media“ brüstet sich mit ihren Schmutzkampagnen, die zum Sturz der britischen Premierministerin Theresa May geführt und einen harten Brexit garantiert hätten.
Diese Agenturen operieren weltweit und orchestrieren sogenannte „Third Party Campaigns“, also Kampagnen interessierter Dritter, zum Beispiel großzügiger Parteispender, die im Dunklen bleiben wollen. Um sogenannte „Dark Ads“ – in der Regel herabsetzende Internet-Memes – zielgenau unters Volk zu bringen, nutzen die Agenturen Big-Data-Analysen und Mittel des Mikrotargetings, wie sie bis vor kurzen nur Nachrichtendiensten zur Verfügung standen und für die das Datenanalyse-Unternehmen „Cambridge Analytica“ in Verruf geraten war. Mittel, die anhand von Metadaten Kommunikationsnetzwerke sichtbar und Akteure identifizierbar machen. Mittel, die in Händen autoritärer Regime tödlich sein können, werden in westlichen Demokratien von interessierter Seite mutwillig und vorsätzlich eingesetzt, um den demokratischen Konsens zu unterminieren und Diskursräume zu vergiften.
Um in dieser Szene an Informationen zu kommen, musste Peter Kreysler seinerseits geheimdienstliches Gebaren an den Tag legen. Im Netz musste ein glaubwürdiges Fake-Profil des fiktiven Wahlkämpfers Hans-Peter Schwarz erstellt werden. Dazu gehörte auch, dass – um nicht aufzufliegen – zur Gesichtserkennung möglichst ungeeignete Fotos gemacht werden mussten. Dann brauchte es noch einen sauberen Laptop und die richtigen IP-Adressen für die Kommunikation. Denn mit Journalisten reden diese Agenturen nicht, mit möglichen Kunden aber schon.
Peter Kreyslers Leistung besteht darin, den konservativen Nihilismus bei der Arbeit zu zeigen. Jene Geisteshaltung, die für ein paar Prozentpunkte einer beliebigen Partei bereit ist, offen rassistische Kampagnen zu fahren und die Radikalisierung und Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger zu fördern. In den USA hat das zum Sturm eines aufgehetzten Mobs auf das Kapitol in Washington geführt hat, bei dem es fünf Tote gegeben hat.
Und billig ist es auch noch, diese Agenturen für derartige Propaganda im Netz zu engagieren. Für weniger als eine Million Euro, so erfährt man im Feature, hätte „Die PARTEI“ eine maßgeschneiderte Schmutzkampagne buchen können. „Deutschland hat da noch etwas Modernisierung nötig, wir können das für Sie übernehmen“, sagt Alexander Walker, damals bei der Agentur „New Century Media“, gegenüber Peter Kreysler alias Hans-Peter Schwarz. (In der Radiosendung wird bei Walker fälschlicherweise der Vorname Andreas genannt.)
Die 45-minütige Fernsehreportage Kreyslers entspricht in ihrer Struktur, in ihrer Bildsprache sowie der Wahl der Drehorte und Schnittbilder dem Erwartbaren. Dass die mit versteckter Kamera und verborgenem Mikrofon aufgenommenen Akteure Gesichter bekamen und die ungenannte Berliner PR-Agentur, die den Journalisten Peter Kreysler bei seiner Verwandlung zu Hans-Peter Schwarz assistierte, einen Namen erhielt, waren die wenigen Momente, in der das opto-akustische Medium gegenüber dem rein akustischen im Vorteil war. Dass die Bilder ansonsten das Gesagte lediglich illustrieren, ist liebgewordener und unhinterfragter TV-Standard.
Einer der Vorteile des Hörfunks gegenüber dem Fernsehen ist der, dass er keine Schnittbilder braucht, die entweder austauschbar nichtssagend sind oder als Glaubwürdigkeitspartikel illustrieren sollen, dass der Autor wirklich vor Ort war. Andererseits muss man für auf einen Blick erfassbare Memes aus den sozialen Netzwerken eine sozusagen „akustische Bildsprache“ finden. Für einen erfahrenen Hörspiel- und Feature-Regisseur wie Matthias Kapohl, der bei Kreyslers Stück für die Regie verantwortlich war, natürlich kein Problem. Ebenso wenig wie es ein Problem ist, für die Produktion ein musikalisches Sounddesign zu entwerfen. Das Radiofeature ermöglicht so eine höhere Informationsdichte, eine Konzentration auf die Inhalte.
Das heißt in diesem Fall darauf, wie emotionszentrierte Desinformationskampagnen gefahren werden, für die die Zielgruppe bereit ist, sich bei einem Bier zu streiten. Halbwahrheiten, extreme Verkürzungen und dreiste Fälschungen sind dabei die Mittel der Wahl. Denn bis die faktengecheckt und widerlegt ist, wird schon längst die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Steve Bannon, ehemaliger Strategieberater des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, hat das in das prägnante Bild gefasst, dass man die mediale Zone „mit Scheiße fluten“ müsse: „The real Opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the tone with shit.“ Brechts Terminus von den Medien als einem „ungeheuren Kanalsystem“ bekommt hier einen Beigeschmack von Wahrheit. Und Peter Kreyslers Feature evoziert den Ekel gegenüber diesen hochbezahlten und weltverschlechternden Kanalarbeitern auf eindrucksvolle Weise.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 19-20/2021
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