Kein Entkommen
Escape Rooms:
Anton Artibilov, Lena Reißner, Ivana Sokola, Jona Spreter: Work hard Pray hard
Patty Hamilton, Lisa Wentz und Sarah Dulgeris: Mauern, in denen Ich
Deutschlandfunk Kultur, 26.04.2023, 22.03 bis 23.00 Uhr
An der Berliner Universität der Künste entstehen in Zusammenarbeit verschiedener Studiengänge immer wieder Hörspiele, die es ins Radio schaffen. Unter dem Label „Escape Rooms“ sind es diesmal Stücke, die von Auswegen und Ausweglosigkeiten erzählen.
Wenn ein Betriebsausflug ausgerechnet von „Wuppertal Work Escape“ ausgerichtet wird, dann scheint es mit dem innerbetrieblichen Klima der Kommunikationsagentur „Dash“ nicht so gut bestellt zu sein. In dem 29-minütigen Hörspiel „Work hard Pray hard“ von Anton Artibilov, Lena Reißner, Ivana Sokola, Jona Spreter, das an der Berliner Universität der Künste entstanden ist, geht es aber nicht in erster Linie darum, in 60 Minuten eine fiktiven Mord im Kloster aufzuklären, sondern um ein Teambuilding-Event, das das Arbeitsklima verbessern soll – was eher so mittel funktioniert. Denn auch die Ausrichterin des Abenteuerspiels, Schwester Tabea (Daria Lik), die als Stimme von oben die Teilnehmer leitet, wird Teil der Geschichte.
Die Hörspiele „Work hard Pray hard“ und „Mauern, in denen Ich“ sind unter dem Label „Escape Rooms“ in den Studiengängen Tonmeister*in, Szenisches Schreiben und Schauspiel an der Berliner Universität der Künste (betreut von der Sounddesignerin Sonja Harth, der Autorin und Regisseurin Barbara Meerkötter und dem Autor und Regisseur Oliver Sturm) entstanden, und sie haben es zu Recht ins Radio geschafft.
Vor allem in der satirischen Komödie „Work hard Pray hard“, kann man hören, wie viel man in einer knappen halben Stunde erzählen kann. Da sind nicht nur die so gar nicht motivierenden Floskeln von „gelebter radical honesty“, sondern auch die (Vor-)Geschichten der Beteiligten. Die Gründerin der Agentur „Dash“, Irene (Nayana Heuer), hat sich nur deshalb der Kommunikation als Passion verschrieben, weil sie als Achtjährige einem Jungen, in den sie sich verliebt hatte, wortwörtlich den Kopf verdreht hat – wobei das Liebesobjekt mit einem Halswirbelbruch davonkam. Ihre Mitarbeiter Jan-Martin (Marlon Frank), Mike (Vito Sack) und Mischa (Moritz Tostmann) beschäftigen sich mit passiv-aggressivem Kleinkrieg. Spielleiterin Tabea erzählt währenddessen, dass sie aus übergroßen Gefühlen für eine Mitschwester ihren weißen gegen einen schwarzen Schleier getauscht hat und deshalb keinen Platz mehr in „seinem Haus“ (dem des Herrn) habe.
Die im wahrsten Sinne des Wortes abgeschlossene Welt eines Escape Rooms ist eine Metapher für einen religiösen wie einen medialen Raum. Da wird gebeichtet und eine „Stimme von oben“ gibt über Lautsprecher Anweisungen und erteilt Absolution. Die präzise geschriebenen Dialoge und das Sounddesign (Komposition: Markus Radtke, Jakob Böttcher und Vinh Tran) ironisieren in schönem Gleichklang die Situation.
Obwohl dasselbe Team den Sound zum zweiten Stück „Mauern, in denen Ich“ von Patty Hamilton, Lisa Wentz und Sarah Dulgeris gemacht hat, könnte der Kontrast nicht größer sein. Hier ist der Escape Room ein innerer – einer des Eingeschlossenseins, einer der Depression. Auch diesem Raum ist nicht einfach zu entkommen. Symbol dafür sind ein gefangener Vogel in seinem Käfig und ein Karpfen, deren Hirne nicht groß genug seien, „um zu wissen was Innen und Außen ist.“
Schon der elliptische Titel „Mauern, in denen Ich“, der ohne Verb auskommen muss und mit großem „Ich“ geschrieben wird, deutet darauf hin, dass „Sie“, gespielt von Nina Stehlin auch im Dialog mit „Er“, gespielt von Philipp Lehfeldt, sich nicht selbst aus ihrem Raum wird befreien können. Im Gegenteil, sie mauert sich selbst in ihren Innenraum ein: „Mörtel auf Mörtel, Stein auf Stein“. Neben dem Vogel (Robert Knorr) und einer alten Frau (Gabriella Crispino) gibt es auch hier eine Spielleiterin (Teresa Korfmacher), die aber zunächst nur als Telefonstimme („Hallo, alles gut da drinnen?“) interveniert, die aber auch als abgespaltene, innere Stimme interpretiert werden kann: „Ich bin das Mauern.“
Sowohl im Hörspiel „Work hard Pray hard“, das auf Dialoge und Versatzstücke aus den kommunikativen Welten des Marketing setzt, als auch in dem Stück „Mauern, in denen Ich“, das auf eine metaphernreiche, lyrisch verdichtete Sprache setzt, hört man die vielfältigen Möglichkeiten, die das akustische Erzählen bietet, wenn man sämtliche Elemente (Text, Schauspiel und Sounddesign) in ihrer je eigenen Qualität stark macht und keinem eine nur dienende Funktion zuweist.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 27.04.2023
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