Im Unterhalb-Drunterbunt
Nachdem die Hauptfigur Nives in Caroline Hofers Hörspiel „Marillenmassaker“ durch ein „Baubodenloch“ in die Wiener Unterwelt gestürzt ist, bewegt sie sich durch ein „Unterhalb-Drunterbunt“ aus halligen Gängen, Soundcollagen und Erinnerungen, während ihre Nachrichten viral gehen und die Gegenwart neu modelliert wird.
Caroline Hofer: Marillenmassaker
ORF Ö1, Fr, 28.11.2025, 23.00 bis 0.00 Uhr
Sa, 29.11.2025, 14.00 bis 15.00 Uhr
Denkt man an die Wiener Unterwelt, dann ist deren Ikonographie von in dunstiges Schwarzweiß gehüllten Abwasserkanälen bestimmt, durch die Orson Welles als Harry Lime zu den Klängen der Zither von Anton Karas vor seinen Verfolgern flieht. Doch es ist nicht mehr 1949 wie in Carol Reeds Filmklassiker „Der dritte Mann“. Die Unterwelt, durch die sich die Hauptfigur Nives aus dem Hörspiel „Marillenmassaker“ der Lyrikerin und Hörspielautorin Caroline Hofer bewegt, ist ein „Unterhalb-Drunterbunt“, und die Zither-Komposition (Florian Kmet) kommt aus den halligen Seitengängen der Kanalisation.
Los geht es mit einer kleinteiligen Collage aus dem Eingangsmonolog von Nives (Swintha Gersthofer), der sich wie die Regieanweisung liest: „Stimmen / Stille / Kindergeräusche in anderem Raum / Stimmen auf der Straße, die näher kommen und dann verstummen / Wiener Walzer / Gläser, die klirren, wie am Opernball / Pferdehufe und Kutschen, die auf Pflastersteinen durch die Straßen hallen / Schritte in Gasse / Straßenbahn / elektronische Musik“. Das klingt ein wenig kitschig und klischiert, doch als Soundcollage bekommt die Beschreibung eine Dichte, wie man sie aus Walter Ruttmanns bahnbrechendem Hörspiel „Weekend“ aus dem Jahr 1930 kennt.
Es gibt noch zwei weitere Soundcollagen an entscheidenden Stellen des Hörspiels, die ganz auf die erzählerische Kraft der Geräusche setzen. Und weil auf dem einstündigen Sendeplatz noch genug Platz um das 37-minütige Hörspiel herum ist, wird man im Nachhinein für die kompositorischen Bestandteile sensibilisiert, die ebenso konstitutiv für das Werk sind wie die Texte von Caroline Hofer.
Unbekannte Räume
Nachdem sie durch ein „Baubodenloch“ in die Unterwelt ihres Viertels gefallen ist, bewegt sich Nives eben nicht durch den „Abgrund der Kellernarrative“, sondern durch unbekannte Räume, deren Eindrücke permanent verarbeitet und reflektiert werden müssen. Dazu gibt es Nebenstränge und Rückblenden, über die sie sich mit ihrer Freundin Jona (Naemi Latzer) austauscht.
Die verbreitet das über die sozialen Netzwerke und Nives geht viral. Als sie durch eine Litfaßsäule an die Oberfläche zurückgelangt, zieht sie die Schlussfolgerung: „Mein Handy bringt mir mich selbst zurück.“ So zeigt Caroline Hofers Hörspiel, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen die Textproduktion unter den Bedingungen von Social Media stattfindet. Natürlich muss dabei das Klein-Klein des langweiligen Lebens durch das „Allesberücksichtigende und Weltverstehende“ ersetzt werden und die „Probleme der Welt auf die Bausteine einer Gesellschaft heruntergebrochen“ werden.
Wobei Nives meint, dass man sich als Mutter das Kunstmachen eigentlich abschminken kann. Denn „Lyrik ist schön, aber nichts für Menschen, auf die andere angewiesen sind“, sondern eher etwas für „Betreuungspflichtlose ohne Mietkostensorgen“. Wenn sie von „schlechtem Licht surroundet“ ist, haben Caroline Hofers Texte manchmal etwas Jargonhaftes, modellieren aber zugleich ihre Gegenwart auf angenehm unaufgeregte Weise, die dem Vorgang des Gehens unterhalb der Pflastersteine und Fiakerpferde entspricht. Selbst das titelgebende „Marillenmassaker“ besteht lediglich aus von einem Sturm herabgerissenen Aprikosenfrüchten im Garten des Großvaters. Eine Flaneurin wie Caroline Hofer bewegt sich souverän zwischen den Wiener Unterwelten und den parasozialen Welten von Social Media, weil ihre Füße offensichtlich „über die richtigen Werkseinstellungen“ verfügen.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 03.12.2025

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