Hörspiel des Monats September 2014

Bei mir hing Vati immer pünktlich am Galgen

Autor: Niklas Frank
Regie: Christine Nagel
Produktion: NDR
Redaktion: Susanne Hoffmann
Ursendung: 07.09.2014, NDR Info
Länge: 74:15

Die Begründung der Jury

Dass, nach einem geläufigen Bonmot von Karl Kraus, dem Wort ‚Familienbande’ immer ein Beigeschmack von Wahrheit anhaftet, klingt plötzlich zu harmlos, betrachtet man den Fall der deutschen Familie Frank. Niklas Frank, ein Sohn von Hans Frank, einst Hitlers Statthalter im besetzten Polen, Menschenschlächter im Range eines Generalgouverneurs mit fürstlicher Residenz in Krakau, in Nürnburg zum Tode verurteilt und gehenkt. Zufall und Zeit, heißt es bei Herder, sind die beiden Tyrannen, die unser Leben regieren. In mörderischer Zeit in eine mörderische Familie hineingeboren worden zu sein, dieses Verhängnis ist dem Autor Niklas Frank zur Obsession geworden. Mit dem Ruf eines Familienfrevlers – an Blutsverwandten vergreift man sich nicht! – kann er leben.

Es ist ein akustisches Kammerspiel, in dem in konzisen, scharfkantigen, nie zu Pathos oder Schwerfälligkeit neigenden Dialogen die Psychopathologie einer schrecklichen Familie in furchtbaren Zeitläuften kenntlich gemacht wird. Bruder Norman und Bruder Niklas, beide Söhne von Hans Frank, versuchen sich an der allmählichen Verfertigung der Wahrheit über ihre Herkunft beim Reden. Bruder Norman, inzwischen achtzig Jahre alt und Alkoholiker, trägt dem Vater bis zuletzt in einer Art wissender Verblendung seine Liebe nach; das nimmt Züge einer zynischen Selbstinfantilisierung an. Und so lebte Norman auch, Säufer, Weiberheld, Verantwortung scheuend. Bruder Niklas hingegen ist in lebenslängliche Recherchen verstrickt, um dem Vater, der Familie den Prozess, seinen Prozess zu machen. Wer von beiden ist eigentlich stärker mit dem Vater verbunden?

Zwischen die mit hohem Kunstverstand gesetzten und austarierten Dialogpassagen hat der Autor Originaltonschnipsel von Hans Frank montiert, verwaschen und gelegentlich akustisch an der Grenze der Verständlichkeit. Und ein weiterer Kunstgriff des Hörspielt ließe sich mit dem Begriff der Familienobduktion benennen. Die scharfzüngigen Dialoge legen subtile Pathologien im Gedanken- und Gefühlshaushalt der Brüder bloß. Und Bruder Niklas schaut als Überlebender in der Pathologie der Obduktion seines verstorbenen Säuferbruders Norman zu und kommentiert die Schnitte, mit präzisem Sarkasmus. Großartig übrigens auch, wie die Stimmen von Hans Peter Hallwachs und Wolf-Dietrich Sprenger die Brüder kongenial verkörpern.

Bei Hannah Arendt, in den moralphilosophischen Vorlesungen, heißt es sinngemäß, mit der Indifferenz, der Weigerung zu urteilen, beginne bereits das Böse. Man könnte das beeindruckende Hörspiel von Niklas Frank als existentielle Urteilskunst bezeichnen, vorgetragen mit den Mitteln des Hörspiels.

Das Hörspiel wird am 6. Dezember im Deutschlandfunk (DLF) wiederholt.

Nominierungen

BR, Dietmar Dath: Largoschmerzen. Ein sozialmedizinisches Desaster
D-Kultur, Michael Wertmüller: Texte für nichts. Nach einem Text von Reinhard Jirgl
HR, Ernst Büchner: Versuchter Selbstmord durch Verschlucken von Stecknadeln
MDR, keine Nominierung
NDR, Niklas Frank: Bei mir hing Vati immer pünktlich am Galgen
RB, keine Nominierung
RBB, Kai-Uwe Kohlschmidt: Die Tunnelgräber
SR, keine Nominierung
SWR, Christoph Buggert: Vier Versuche über die Zeit
WDR, Jens Rachut: Da oben ist es voll

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