Hörspiel des Monats Januar 2022
Das Schneckengrabhaus
von Denijen Pauljević
Regie: Ralf Haarmann
Musik & Gesang: Irena Tomažin
Redaktion: Katja Huber
Produktion: Bayerischer Rundfunk 2021
Länge: 64:32 min.
Ursendung: 14.01.2022, Bayern 2
Die Begründung der Jury
„Das Schneckengrabhaus” von Denijen Pauljević erhält die Auszeichnung Hörspiel des Monats Januar 2022, weil es rundum überzeugt: Text, Dramaturgie, schauspielerische Leistung, Musik und radiophone Umsetzung sind auf hervorragende Weise gelungen und stimmig. Hinzu kommt die große Relevanz der Geschichte, die durch die gekonnte Inszenierung tief berührt: Ramisa, beeindruckend glaubhaft von Zeynep Bosbay gespielt, hat nirgendwo einen Platz, dafür umso mehr Wut: Die Romni aus Serbien, die Lateinlehrerin werden wollte und sich stattdessen mit einem Ein-Euro-Job auf einem Münchner Friedhof über Wasser hält, soll abgeschoben werden.
Wir erleben Ramisas Wut und werden selber wütend: über die Ungerechtigkeit, die ihr widerfährt, über ein Leben, das nie richtig beginnen durfte, über die staatliche Willkür, die sie zurückweist und abschieben will in eine Heimat, die nie eine war, und wo die Romni den rassistischen Anfeindungen serbischer Nazis ausgesetzt sein wird. Wir befinden uns in München, in einer Stadt, die behauptet für alle da zu sein. Aber für Ramisa ist München nicht da. Sie hat gar nicht die Chance, hier ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Trotzdem kämpft sie und beeindruckt mit ihrer Stärke, Wortgewalt und Klugheit.
So unberechenbar wie Ramisas Wut sind die Szenen, in denen wir uns plötzlich wiederfinden. Wir lernen neben Ramisa u.a. ihre Mutter, ihren Lehrer, ihre Sachbearbeiterin und ihre imaginäre Anwältin kennen, die alle lediglich von Zeynep Bozbay und Jelena Kuljić gespielt werden, was alles noch klaustrophobischer erscheinen lässt. Zugleich lockert ihr großartiges Spiel das Geschehen aber auch auf: Manchmal wissen wir nicht, ob wir lachen oder weinen sollen. In der Ausweglosigkeit von Ramisas Situation blitzt immer wieder auch eine Komik auf: eine Leichtigkeit, die Hoffnung gibt oder zumindest aufscheinen lässt.
Ramisa ist ein Mensch, um den es sonst nie geht. Ein Mensch, dessen Stimme nicht gehört wird. Denijen Pauljevićs „Das Schneckengrabhaus“ lässt uns diesem Menschen zuhören und zieht uns in Ramisas Bann mit einer Sprache voller Kraft und Bilder. Besonders hervorzuheben sind zudem die begeisternde klangliche Gestaltung in der Regie von Ralf Haarmann und der beeindruckende Gesang von Irena Tomažin.
Eine lobende Erwähnung geht an „Was siehst du? Die Nacht!“ von Ludwig Fels und in der Regie und Bearbeitung von Stefan Weber. Dieses Hörspiel beeindruckt vor allem durch seinen herausragenden Text und die schauspielerischen Leistungen – insbesondere diejenige der 10-jährigen Naïma von Bargen als Mirka.
Eine weitere lobende Erwähnung sprechen wir „Eurotrash“ von Walter Adler nach dem gleichnamigen Roman von Christian Kracht aus. Hervorzuheben sind hier vor allem die Hörspiel-Adaption und die überzeugende schauspielerische Leistung von Sylvester Groth als Christian Kracht und Jutta Hoffmann als dessen Mutter.
Das Hörspiel des Monats wird am 05.03.2022 um 20.05 Uhr im Deutschlandfunk (DLF) wiederholt.
Die Nominierungen
BR, Denijen Pauljevic: Das Schneckengrabhaus
DLF, keine Nominierung
DLF Kultur, Nina Bußmann: Das Brechen der Brote
HR, Françoise Sagan: Bonjour Tristesse
MDR, keine Nominierung
NDR, keine Nominierung
RB, Natalie Tielcke, Jan Hass : Lost in Neulich (Folgen 1+2)
RBB, Rainald Grebe, Tilla Kratochwil: Fallada. Ein Leben im Rausch
SR, keine Nominierung
SWR, Christian Kracht: Eurotrash
WDR, Tim Staffel: unter Drohnen
ORF, Ludwig Fels: Was siehst Du? Die Nacht!
SRF, keine Nominierung
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