Das Verschwinden der Zwetschgenwachthochzeit

Helmut Hostnig: Die Mama und der Bub

ORF Ö1, Sa, 27.07.2024, 14.00 bis 15.00 Uhr

Was passiert, wenn der Bub auch schon über siebzig ist und die Mama über neunzig? „Es hat’s niemand nicht leicht g’habt“ lautet der Untertitel von Helmut Hostnigs neuem Hörspiel „Die Mama und der Bub“, das oberflächlich betrachtet leichter daherkommt als man meinen könnte.

In seinem Hörspiel „Vogel auf dem Leim – Abschied für drei Stimmen“ aus dem Jahr 2018 waren Mutter Anneliese (Jahrgang 1923) und Sohn Helmut Hostnig (Jahrgang 1948) noch im O-Ton zu hören. Das Stück hatte es unverständlicherweise nicht ins Radio, aber immerhin auf die Shortlist des Berliner Hörspielfestivals geschafft. Dieses halbdokumentarische-autofiktionale Stück findet jetzt in der ORF-Produktion „Die Mama und ihr Bub oder Es hat’s niemand nicht leicht g’habt“ in gewisser Weise seine Fortsetzung.

Linde Prelog und Helmut Bohatsch, Bild Joseph Schimmer / ORF.

Linde Prelog und Helmut Bohatsch, Bild Joseph Schimmer / ORF.

Diesmal leihen Linde Prelog und Helmut Bohatsch Mutter und Sohn in der Regie von Ursula Scheidle ihre Stimmen. Geboren „bald nach dem ersten und vor dem zweiten Krieg“, schwindet der Mama langsam die Orientierung. Sie betont „Demenz“ auf der ersten Silbe und wehrt die Korrektur durch ihren Bub mit der lapidaren Entgegnung ab: „Da hat aber noch niemand Bregenz gesagt, auch kein Ausländer nicht.“ Die Frau hat offensichtlich Humor und verwechselt dennoch oder vielleicht gerade deswegen konsequent Inkontinenz und Inkonsistenz: „Das weiß ich, weil ich Krankenschwester war“.

Weil sie der Katze nebst Büchern und den Zeitungen mehr Platz einräumt als sich selbst, findet der Arzt, der sie wegen der Erhöhung der Pflegestufe begutachten soll, kaum einen Platz an ihrem Bett. Doch die schlecht geschauspielerte Inszenierung der Gebrechlichkeit scheitert letztendlich. Sie ist halt doch zu vital für das Kostendämpfungskonzept der Kranken- und Pflegekassen. Die fast slapstickhafte Szene täuscht jedoch nicht über die zugrundeliegende Dramatik hinweg.

Anrührender Kampf um Autonomie

So verständlich und anrührend ihr Kampf um Autonomie ist, so unmöglich wird sie durch das schiere Alter – und Altern ist nichts für Feiglinge, wie sich die Mama immer wieder selbst sagt. Es kommt der Moment, in dem Marianna aus Rumänien (Brigitta Kanyaro) als 24-Stunden-Hilfe bei ihr einzieht. „Wann geht die Frau wieder weg?“, fragt sie und ergänzt trotzig, dass sie schon einmal eine Diktatur überlebt habe. Gleichzeitig steigt die Angst, ins Heim gesteckt zu werden.

Es kommt schließlich der Moment, in dem sie in einem mottenzerfressen Mantel, den man in der 20er Jahren des letzten Jahrhunderts getragen hat, auf ihrem Bett sitzt und wartet, abgeholt zu werden. Ihren Sohn erkennt sie da nicht wieder und siezt ihn. Es sind herzzerreißende Momente, die von Linde Prelog und Helmut Bohatsch mit großer Intimität und Nähe in ihrer ganzen schrecklichen Normalität gespielt werden. Florian Kmet liefert dazu den Soundtrack, der sich nicht in den Vordergrund drängt, aber hörbar die Atmosphäre verdichtet.

Dazu kommen ein paar Geschichten aus dem Leben von Anneliese, die als „Kerkermeisters Töchterlein“ in der damaligen Gestapozentrale mit ihren Puppen gespielt und die Schreie der Gequälten gehört hat. Als Krankenschwester hat sie im Lazarett nachts die Toten abtransportieren müssen, während andere wegen des Morphiummangels schmerzhaft verreckten. Es hat’s eben niemand nicht leicht g’habt.

Nach dem Krieg hat sie in bitterer Armut bei einer „Zwetschgenwachthochzeit“ in einem gemieteten Hochzeitskleid geheiratet. Die Zwetschgen mussten nachts bewacht werden, um sie vor dem Obstklau zu schützen. Annelieses Geschichten gehen manchmal etwas durcheinander, aber es sind Geschichten, die mit ihr verschwinden werden. Es sei denn, der Bub schreibt sie auf und überführt sie in eine poetische Form, wie es Helmut Hostnig getan hat.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 01.08.2024

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