„Pompeji ohne Pomp“

Am 21. Januar 2025 jährte sich der Todestag von Mascha Kaléko zum fünfzigsten Mal. Ulrike Haage widmet ihr das Hörspiel „Nichts ist, sagt der Weise“ und porträtiert die Autorin anhand eher unbekannter Gedichte, Briefe und Notizen.

Ulrike Haage: Nichts ist, sagt der Weise. Hörspiel mit Texten von Mascha Kaléko

RBB Radio 3, 19.01.2025, 16.03 bis 17.00 Uhr
Wiederholung: Mo 20.01.2025, 19:03 bis 20.00 Uhr.

Am 21. Januar jährt sich der Todestag der Schriftstellerin Mascha Kaléko (1907-1975) zum fünfzigsten Mal. Aus diesem Anlass hat die Komponistin und Hörspielmacherin Ulrike Haage einen Blick auf das Leben der neusachlichen Lyrikerin geworfen und ihr das 60-minütige Hörspiel „Nichts ist, sagt der Weise“ gewidmet.

Nicht nur im Radio erfreut sich Kalékos Werk großer Beliebtheit. Auch die Liedermacherin und „Kleingeldprinzessin“ Dota Kehr widmete ihr zwei Alben, denn die lakonischen Gedichte mit den eingängigen Reimschemata von Paar- und Kreuzreim und mitunter überraschenden Reimwörtern lassen sich hervorragend vertonen.
Das kommt auch Ulrike Haage sehr entgegen, die am Piano, Celesta und Harmonium Melodien und Motive zu entwickeln weiß, die der heiteren Melancholie der Texte entsprechen. Dem luftigen „Atem“ des Harmoniums steht der metallische Anschlag eines elektronisch simulierten Vibrafons gegenüber. Winnie Böwe, Toni Jessen, Judith Rosmair und Bernhard Schütz sprechen und singen Kalékos Texte. Nicht nur Gedichte, die formal vom Haiku bis zur Ballade reichen, auch Briefe, Tagebucheinträge und Zeitungsreportagen machen die Figur der Autorin plastisch.

Dabei stehen nicht die Gedichte aus dem „Lyrischen Stenogrammheft“, Kalékos Erstlingswerk, das kurz vor der Machtübergabe an die Nazis erscheinen konnte, im Fokus von Haages Interesse, sondern Kalékos eher unbekannten Werke. Das Hörspiel beginnt im Jahr 1955, als Mascha Kaléko, die 1938 emigrieren musste und inzwischen amerikanische Staatsbürgerin ist, zu einer Vortragsreise nach Deutschland kommt. Auf die Frage eines Journalisten, wie sie Berlin denn so fände, mit seinen Bombenruinen, antwortet sie: „Das kommt mir vor wie eine Art Pompeji – ein Pompeji ohne Pomp.“

Die Emigrantin

Ausführlich geht es um den Fontane-Preis, der ihr 1960 zuerkannt werden sollte und den sie ablehnt, weil das Jurymitglied und der Leiter der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste, Hans Egon Holthusen, Standartenführer der SS war und sie aus dessen Händen als Autorin und als Jüdin einen solchen Preis nicht annehmen mag.
„Wenn es den Emigranten nicht gefällt, wie wir die Dinge hier handhaben, dann sollen sie doch fortbleiben“, sekundiert der Archäologe Herbert von Buttlar seinem Kollegen Holthusen. „Ich habe es auch nicht leicht als emigrierte Autorin. Überall im Ausland hat man sich dagegen zu verteidigen, dass man sich wieder mit dem Deutschen Schrifttum identifiziert. Dass man in einem Land wirkt, das noch immer an exponierter Stelle einstige Nazis fördert. Wie soll ich nach dieser Erfahrung hier solchen Vorwürfen entgegentreten?“, entgegnet die Autorin.

Das Motiv der Emigration zieht sich durch das ganze Leben von Mascha Kaléko. Geboren im österreich-ungarischen Galizien, musste sie mit ihren Eltern 1914 vor den dortigen Pogromen nach Deutschland emigrieren, um als Erwachsene vor den Nazis zu fliehen und schließlich nach Israel zu gehen. „Ich hatte einst ein schönes Vaterland, / So sang schon der Refugee Heine. / Das seine stand am Rheine, / das meine auf märkischem Land // Wir alle hatten einst ein (siehe oben!) / Das fraß die Pest, das ist im Sturm zerstoben. / O, Röslein auf der Heide, / Dich brach die KraftdurchFreude.“, beginnt ihr Gedicht „Emigranten-Monolog“, das Ulrike Haage elektronisch instrumentiert hat.

Künstlerinnen als Verbündete

Kaléko korrespondierte mit Kurt Pinthus, dem Herausgeber der expressionistischen Anthologie „Menschheitsdämmerung“ und dem Religionsphilosophen Martin Buber, von dem sie sich einen Zugang zur jüdisch-chassidischen Mystik versprach. Dieser reagierte auf die Fanpost der Autorin jedoch nur freundlich reserviert. In diesem Zusammenhang steht auch das Gedicht, dessen erste Zeile den Titel des Hörspiels lieferte. „Nichts ist, sagt der Weise. / Du lässt es erstehen. / Es wird mit dem Wind / Deines Atems vergehen / Unmerklich und leise. / Nichts ist -“

Mascha Kaléko starb 1975 auf dem Weg von Berlin nach Jerusalem bei einem Zwischenstopp in Zürich an Krebs. Ein gutes Jahr zuvor hatte sie ihren Mann Chemjo Vinaver begraben müssen und schon 1968 ihren Sohn Steven verloren.
Mit „Nichts ist, sagt der Weise“ setzt Ulrike Haage ihre Reihe fort, mit der sie unter anderem die Lyrikerin Annemarie Bostroem (Kritik hier), die Filmpionierin Maya Deren und die Journalistin Helen Hessel porträtiert hat. „Meine Hörspiele sind für mich musikalisch ausgeleuchtete Gedankenländer, durch die ich außergewöhnliches Textmaterial, kluge fantasievolle Gedanken von Künstlerinnen zeigen will, die ich mir zugleich zu Verbündeten meiner eigenen künstlerischen Welt mache.“ sagt Ulrike Haage. Und das ist immer hörenswert.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 16.01.2025

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