Ein Nachleben im Klang

tauchgold: Nobody’s Nothings

RBB Radio 3, Fr, 27.09.2024, 19.00 bis 19.55 Uhr,
Sa, 28.09.2024 14.00 bis 14.55 Uhr

In der Weimarer Republik kannte sie jeder und sie kannten alle. Heute sind Eleonora und Francesco von Mendelssohn vergessen. Heike Tauch schenkt ihnen in ihrem letzten Hörspiel „Nobody’s Nothings“ ein Nachleben.

„Wir waren doch eigentlich dafür gedacht, ein Nachleben zu haben“, sagt Francesco von Mendelssohn zu seiner Schwester Eleonora. Da ist er schon tot. Seit dem Suizid der Schwester sind zwanzig Jahre vergangen und im Totengespräch verständigen sich die beiden über ihr turbulentes Leben im Deutschland der 1920er Jahre, das sie nach der Emigration in die USA nicht fortsetzen konnten – von ‚Everybody‘s Darlings‘ zu ‚Nobody‘s Nothings‘.

Heute erinnert sich keiner mehr an die beiden. „Was ist da schiefgelaufen?“, fragt sich Francesco. In ihrem 55-minütigen Berlin-Hörspiel „Nobody’s Nothings“ versuchen sich Heike Tauch und Florian Goldberg, die als Duo unter dem Namen „tauchgold“ arbeiteten, an einer Antwort. Es ist das letzte Werk der Autorin und Regisseurin Heike Tauch, die wenige Tage nach Fertigstellung der Produktion ihrem Krebsleiden erlag.

Luxus und Berühmtheiten

Eleonora von Mendelssohn (1900-1951) und ihr Bruder Franz (1901-1972), der seinen Namen zu Francesco italienisierte, waren Kinder des Bankiers Robert von Mendelssohn, der bereits 1917 starb und ihnen ein Vermögen hinterließ, das den beiden ein Leben im Luxus ermöglichte. Aufgewachsen in einem großbürgerlichen, kunstsinnigen Elternhaus, umgeben von Gemälden von Rembrandt, Courbet, Monet und Degas, stand ihnen die Welt offen. Sie, eine Schauspielerin, die schon unter Max Reinhardt gespielt hatte und doch nie an ihre Patentante Eleonora Duse herankam, er ein begabter Cellist, Schüler von Pablo Casals, der sein Talent im Alkohol ertränkte.

v.l.n.r. Francesco und Leonora von Mendelssohn, Kurt Weill, Lotte Lenya, Meyer Wolf Weisgal.

v.l.n.r. Francesco und Leonora von Mendelssohn, Kurt Weill, Lotte Lenya, Meyer Wolf Weisgal.

Die Liste der Berühmtheiten, die in ihrem Haus aus- und eingingen, reicht von Walter Benjamin bis Hugo von Hofmannsthal, von Pablo Picasso bis Walther Rathenau, von Albert Einstein bis Ernst Lubitsch – die Liste ist lang. Auch Benito Mussolini und Veit Harlan stehen drauf, denn Mutter Giulietta pflegte eine gewisse Nähe zu den Faschisten. „In ihrem Dünkel war ihr vieles zuwider. Aber zwei Dinge gab es, die sie von ganzem Herzen hasste: Juden und Homosexuelle. Leider war ich beides“, lassen Tauch und Goldberg Francesco sagen.

Suizid und Lobotomie

1935 emigrierten die Geschwister in die USA. Francesco inszenierte am Broadway Brechts „Dreigroschenoper“, Eleonora arbeitete weiter als Schauspielerin. 1951 wird sie mit einem äthergetränkten Gazelappen auf dem Gesicht tot aufgefunden. Ihr Bruder verbringt die nächsten zwanzig Jahre immer wieder in teuren psychiatrischen Kliniken und Sanatorien. Es geht das Gerücht um, dass an ihm eine Lobotomie vorgenommen wurde. Er stirbt 1972 an Krebs.

Wie schon das Vorgängerstück „Geborgte Landschaft“ (DLF 2022), haben Tauch und Goldberg „Nobody’s Nothings“ mit der Gattungsbezeichnung „Narratorium“ versehen. Die Musik in der aus Narration und Oratorium kombinierten Hörspielform stammt wieder von dem Japaner Dai Fujikura, der für den Cellisten Wolfgang Emanuel Schmidt mehrere Solopartien komponiert hat. Katharina Marie Schubert als Eleonora und Jens Harzer als Francesco zeichnen empathisch ein Porträt der beiden Figuren und der Zeit, in der sie lebten.

Körper und Glauben

Die letzte Frage, die sich die Eleonora im Hörspiel stellt, ist die entscheidende „Wo und was sind wir?“. Schwester und Bruder könnten sie nicht mehr sein, denn dazu bräuchte es Körper. Im Himmel oder der Hölle seien sie auch nicht, denn dafür bräuchte es einen Glauben. Im Bewusstsein, dass die Autorin und Regisseurin Heike Tauch um ihren baldigen Tod wusste, hört man Francescos Antwort mit anderen Ohren: „Gute Frage. Vielleicht eine Art Musik. Gespräche im Klang, aus dem die Welt besteht.“ Auf Eleonoras Anschlussfrage „Worauf laufen diese Gespräche hinaus?“, antwortet er lakonisch: „Wann laufen Gespräche jemals auf etwas hinaus? Oder Musik?! – Man unterhält sich halt, man musiziert, und dann lässt man es wieder bleiben. Das ist alles.“

Aber es gibt ja noch die Nachwelt, die sich an die neun Hörspielen, an die mehr als zwanzig Radiofeatures, an die zahlreichen Regiearbeiten und an die Bühnenstücke von Heike Tauch erinnern wird, so wie sie zwei vergessenen Figuren wieder ein Nachleben im Klang geschenkt hat.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 02.10.2024

 

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