Zwischen Sehnsucht und Selektion

Falkner: Manifest 50 / Du darfst mich töten, wenn du mich liebst

HR 2 Kultur, Mi 16.11.2016, 21.00 bis 21.43 Uhr

Der Sound der Dystopie ist ein schwach moduliertes Heulen. Ein Wind, der sich in hohlen Schädeln fängt, oder ein permanenter Alarmton aus der Ferne oder der Schrei einer versehrten Landschaft. Denn die Landschaften in Falkners Texten liegen immer voller Leichen. Es sind Landschaften des zu Ende gedachten Bürgerkriegs und der Unterdrückung. Falkner produziert keine Latenzen, Falkner macht Manifeste – egal, ob es Texte, Performances oder Hörspiele sind. „Der Gestus von Falkners Texten ist ein performativer, theatralisch deklamatorischer“, hat sie als Schrift-Insert in ihr anderthalbminütiges Porträt für den Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis stanzen lassen, bei dem sie 2015 ihren Text „Manifest 47 / Krieger sein Bruder sein“ gelesen hatte.

Jörg Pohl (li.) als Ivan und Gideon Maoz als Tomas. Bild: HR/Ben Knabe.

Natürlich braucht die österreichische Autorin Michaela Falkner (Jahrgang 1970) für solch eine Haltung einen wie in Stein gemeißelten Künstlernamen in Versalien, der keine Geschlechtszuschreibung enthält; sie nennt sich also FALKNER und lässt den Vornamen weg. Logisch, dass sie ihre Manifeste, die mit ebenso sprechenden wie kryptischen Untertiteln versehen sind, durchnummeriert. Am konsequentesten umgesetzt hat Falkner ihre ästhetische Konzeption in ihrem Text „Manifest 44 / Der schwarze Trauerzug, Amsel, Drossel, Fink und Star, der Rabe, der Rabe, der Uhu, der Uhu“. Es ist ein Stück, dessen Soundtrack von Manfred Engelmayr und seiner Band Bulbul konsequent auf der Seite der Macht steht und der in hymnenhaften Repetitionen Druck ausübt – auch gegenüber dem Hörer. 2015 wurde dieser Prototyp eines totalitären Hörspiels (eine Produktion des ORF) mit dem österreichischen ‚Hörspielpreis der Kritik‘ ausgezeichnet.

In Falkners Welten der permanenten Bedrohung, in denen die Menschen nach Farbe und Musterung ihrer Pullover selektiert und massakriert werden, gibt es auch Motive der Sehnsucht. Die Formel „Ich vermisse das“ ist so ein Leitmotiv, dass sich durch diverse Manifeste zieht – auch durch die neue 43-minütige HR-Produktion „Manifest 50 / Du darfst mich töten, wenn du mich liebst“, die wieder ein Hörspiel ist, wie schon die Manifeste mit den Nummern 38, 42, 44 und 49. Michaela Falkner führt in ihren Hörspielen selbst Regie. Einzige Ausnahme war „Manifest 49 / Draußen unter freiem Himmel“, das von Hannah Georgi für den WDR inszeniert wurde und für das Birte Schnöink und Christian Löber bei den 13. ARD-Hörspieltagen mit dem erstmals vergebenen Preis für die beste schauspielerische Leistung in einem Hörspiel ausgezeichnet wurden.

Im „Manifest 50“ hat Falkner ihrer Hauptfigur Ivan, der wir in „Manifest 38“ als einem sportlich gedrillten Kindersoldaten begegnet waren, einen Song geschenkt, der auf YouTube sozusagen als Hörspielsingle ausgekoppelt ist. Über betörendes, flächiges Gitarrengeschrammel, das an die frühe Phase der Berliner Band Einstürzende Neubauten erinnert, singt Jörg Pohl, der die Rolle des Ivan spielt, von seiner Sehnsucht, „einen Wunsch freihaben“ zu dürfen. In seiner Einsamkeit bastelt er sich nach Art des Dr. Frankenstein aus den überall herumliegenden Leichenteilen ein Gegenüber/einen Freund/einen Kameraden. Das Gespräch mit dem Toten funktioniert so lange, bis Tomas (gespielt von Gideon Maoz) auftaucht. Ein (Über-)Lebender, der nur einen Nachteil hat: Er besitzt kein Herz. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, wie auch schon in „Manifest 42 / Herzen rauben, wo die Liebe ausreichend wäre“ das Herz primär Gegenstand des Organhandels ist.

Im aktuellen Manifest entwickelt sich ein surrealer Tausch von Körperteilen zwischen Ivan und Tomas, der sich natürlich zu einer Falknerschen Variante des Liebestods steigert, als Ivan sein Herz herausschneidet, um es mit Tomas zu teilen: „Du darfst mich töten, wenn du mich liebst“, sagt der. Es endet mit einem Schuss, wahrscheinlich dem Selbstmord Ivans. Wer solche Lieben hat, braucht keine Höllen mehr, könnte man meinen. Allerdings gibt es in Falkners Stücken – nimmt man das radikalste „Manifest 44“ einmal aus, immer wieder kleine Momente des Aufbegehrens und der Sehnsucht. Das kann das Summen der Marseillaise sein oder eben hier der Song, mit dem sich Ivan aus der manifesten Dystopie von Falkner verabschiedet. Falkners Hörspiele sind stets eine produktive Herausforderung und das nächste ist schon produziert. Es heißt „Manifest 51 / Der Vogel, der Vogel“ und läuft am 19. Januar 2017 auf WDR 3.

 Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 24/2016

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