Wenn Kunst auf Wirklichkeit trifft

Stefano Giannotti: Bürotifulcrazy

Deutschlandradio Kultur, Fr 14.03.2014, 0.05 bis 0.50 Uhr

„Soll die Verwaltung doch sich selbst senden!“ Das ist der frustrierte Ausruf derer, die von der kreativen Seite mit einer Institution konfrontiert sind, die eher ihre Eigengesetzlichkeiten pflegt als dem Zweck dient, zu dem sie eigentlich geschaffen wurde. Stefano Giannotti, italienischer Komponist und Klangkünstler und gleich zweimal mit dem Karl-Sczuka-Preis ausgezeichnet (vgl. FK 33/02 und 31/07), hat den Stoßseufzer der Kreativen ernstgenommen und kurzerhand die Honorarbedingungen des Deutschlandradios als Ausgangspunkt für sein 45-minütiges Stück „Bürotifulcrazy“ genutzt. Doch los geht es mit Tierstimmen, oder Tierstimmen imitierenden Menschen, die sich bemühen, die Laute „bu-ro-cra-zia“ hervorzubringen – und damit das italienische Wort, das für Bürokratie und Amtsschimmel gleichermaßen steht. Bürokratie ist immer auch die Dressur der ihr Unterworfenen.

Italienische, französische und deutsche Bürokratien haben ihre je eigenen Spezifika. Georges Perecs bürokratiesatirisches Hörspiel „Wucherungen“ (SR/WDR; vgl. FK 6/70) handelte von dem vergeblichen Versuch, in einem zentralistischen System eine Gehaltserhöhung zu erhalten (der Originaltitel des Stücks lautete „L’Augmentation“). Stefano Giannottis zehnminütige Performance „Interludio burocratico“, die im Anschluss an „Bürotifulcrazy“ gesendet wurde, beschreibt die chaotische Organisation einer künstlerischen Aufführung, von der die Verwaltung im Nachhinein behauptet, sie habe nie stattgefunden.

Das spezifisch Deutsche, an dem sich Giannotti in „Bürotifulcrazy“ abarbeitet, ist die Verwaltungssprache, in der es „arbeitnehmerähnliche Personen“ gibt, auf die (fast möchte man sagen: dennoch) Tarifverträge „Anwendung finden“. Nun wäre es zu einfach, sich über die dürre Prosa, in der Verwaltungshandeln seinen sprachlichen Ausdruck findet, lustig zu machen. Weil aber Stefano Giannotti nicht an mittelmäßigem Kabarett interessiert ist, passt er die Textvorlage in eine kontrapunktisch organisierte musikalische Struktur ein – gespielt vom Ensemble OTEME (Osservatorio delle Terre Emerse) und Streichern des Orchesters Scuola di Musica Sinfonia aus Lucca. Zunehmend kryptische, an Steuercodes erinnernde Spielanweisungen („Diastole Hand C-Dur“) kontaminieren die Verwaltungstexte, bis eine Kette von Einzelwörtern übrigbleibt. So zum Beispiel Imperative, die, vom aggressiven Piepen elektronischer Weck- und Alarmtöne begleitet, auf ihre Dringlichkeit verweisen: „Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen!“

Wie immer bei der Aufführung spröder Texte ist die Stimme der Rezitatorin, hier: Ilka Teichmüller, kaum zu überschätzen. Sie lädt so schöne Sätze wie „Der Mitarbeiter darf nach der Erstsendung frei über eigene Nutzungsrechte am Werk – auch in bearbeiteter oder umgestalteter Form – verfügen“ mit Emotionen auf. Die etwas kalauernde Übersetzung des einfachen Satzes „Ich liebe dich“ wird im Bürokratiedeutsch um einiges präziser, wenn auch nicht unbedingt eindrucksvoller: „Ich lerne eine kognitiv-affektive Kondition kennen, die länger als die Emotionen anhält und gegenüber den Leidenschaften weniger eindringlich ist, für dich“ – und das ist erst eine Anfangsstufe der immer genauer werdenden Definition von Liebe oder was eine Bürokratie dafür hält.

Ob Bürokratie schön sein könne, sei Giannottis Ausgangsfrage gewesen, verrät der Pressetext zum Hörspiel. Das ist eine seltsame Frage, da man nicht weiß, worauf sie abzielt: auf eine ästhetische Beschreibung des gegenwärtigen Zustands der Bürokratie oder auf eine zusätzliche Anforderung, die über deren funktionale Rolle hinausgeht? Sollte Bürokratie tatsächlich schön sein sollen, bräuchte man dieses lästige künstlerische Personal nicht mehr, das eh nur den harmonischen Verwaltungsablauf stört. „Komposition trifft Autopoiesis“, heißt es bei Deutschlandradio Kultur in der Ankündigung des Stücks. Das heißt: Das Zusammengefügte trifft auf das Sich-selbst-Erschaffende – natürlich ist das eine ironische Volte des freien Künstlers Stefano Giannotti, der sich durch seine kompositorische Arbeit um seine Selbsterschaffung und Selbsterhaltung kümmern muss.

Im Akustischen findet die Autopoiesis des Systems Bürokratie in der Begegnung von Schweinegrunzen und Nadeldrucker statt. Und ganz nebenbei hat Stefano Giannotti eine so noch nie gestellte Frage beantwortet: Können Nadeldrucker schön klingen? Sie können. So schön, wie in „Bürotifulcrazy“ hat man sie im realen Leben nie gehört.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 12/2014

Das Hörspiel wird am 24. März 2014 um 0.05 Uhr vom Deutschlandradio Kultur wiederholt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.