Unlogische Symmetrien

Lizzie Doron: Who the fuck is Kafka?

NDR Info,  So 17.07.2016, 21.05 bis 22.17 Uhr

Betrachtet man die Entwicklung in Israel über die letzten Jahre und Jahrzehnte so gibt es zwei Narrative. Eines handelt von einem Staat dessen Existenzrecht von einem feindlichen Umfeld in Frage gestellt wird und dessen Bevölkerung permanent von Anschlägen fanatisierter Selbstmordattentäter bedroht ist. Das andere Narrativ handelt von einem gnadenlosen Apartheidsregime, das als Besatzungsmacht ein ganzes Volk unterdrückt und verelenden lässt. Je nach politischer Vorliebe sortiert man neue Nachrichten in dieses Schema ein. Der Kognitionswissenschaftler Peter Wason hat das Bestätigungsfehler („Confirmation Bias“) genannt und der britische Dramatiker John Thorpe hat dem Phänomen das Theaterstück „Confirmation“ gewidmet, das Klaus Buhlert für den SWR als Hörspielmonolog mit Corinna Harfouch inszeniert hat (Hörspiel des Monats November 2015). Die Schwäche des Stücks war, dass die Protagonistin im Gespräch mit dem netten Rassisten von nebenan ihm argumentativ nicht viel entgegenzusetzen hatte und dadurch das dramatische Potenzial verschenkt wurde.

Diesen Vorwurf kann man der israelischen Autorin Lizzie Doron nicht machen. Denn in ihrem Buch „Who the fuck is Kafka?“ (Übersetzung aus dem Hebräischen: Mirjam Pressler), das Andrea Getto jetzt im Auftrag des NDR als Hörspiel adaptiert und inszeniert hat, prallen die Gegensätze und Lebenslügen von Israelis und Palästinensern so aufeinander, wie man es sich heftiger nicht wünschen könnte. Zu Beginn des Stücks treffen die israelische Schriftstellerin Lizzie aus Tel Aviv und der palästinensische Fotograf Nadim aus Ost-Jerusalem auf dem Podium einer Friedenskonferenz in Rom aufeinander. Beide werden vom Publikum für ihre jeweiligen Regimes in Haftung genommen, wobei die Sympathien der mehrheitlich „kritischen Intellektuellen“ (auch der jüdischen Glaubens) auf der Seite des Palästinensers liegen.

Nadim erzählt von der zur Bürokratie geronnenen Willkür, die sein Leben und das seiner Frau bestimmt. Eine EU-Funktionärin erinnert das an Kafka, den Nadim, obwohl er in Europa ausgebildet worden ist, nicht kennt – was auch den Titel des Stücks „Who the fuck is Kafka?“ erklärt. Es ist nicht die einzige Bildungslücke Nadims. Auch mit dem Namen Dr. Mengele kann er nichts anfangen und die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem weigert er sich zu besuchen. Er fürchtet wohl um seine Stellung in der Opferhierarchie.

Lizzie ist bei ihren öffentlichen Auftritten als Schriftstellerin schnell klargeworden, dass ihr auf den diversen Podien in Europa die Rolle der Bösen zugedacht ist. Deswegen erzählt sie von der Angst um ihren kleinen Sohn, den sie zwingt, Arabisch zu lernen, weil sie von ihrer Mutter, einer Holocaust-Überlebenden, gelernt hat, dass man die Sprache des Feindes verstehen können muss. Dennoch nähern sich Lizzie und Nadim einander an, denn zu gegenseitigen Hass hat sich noch nicht die Gelegenheit ergeben – wie Lizzie sarkastisch anmerkt. Sie planen sogar ein gemeinsames Buch- und Filmprojekt, für das auch schon Fördermittel der EU in Aussicht stehen.

Beispielhaft wird vorgeführt wie das westliche Publikum seine eigene Sehweise des Konflikts bestätigt bekommen will. Den Höhepunkt bildet der Vorschlag einer deutschen Journalistin, einen Film mit den beiden zu drehen, der von Gaza über Tel Aviv, Jerusalem und Rom mit der Versöhnungsfeier in Auschwitz enden soll. Das ist so grotesk, dass es den beiden schier die Sprache verschlägt. Die naive Unbedarftheit der Journalistin kippt gänzlich in Zynismus um, als sie Nadim empfiehlt, dankbar für die Besatzung zu sein, denn man brauche immer jemanden, den man hassen könne, und sonst hätten die Palästinenser ja nichts auf ihrer Agenda. Und für die Juden sei es ein Glück, nicht in Deutschland geblieben zu sein, denn da hätten Sie sich assimiliert und wären von der Welt verschwunden; mit den Arabern werde das nicht passieren: „Mit denen werdet ihr euch nicht vermischen.“ Schwarzhumoriger kann man Antisemitismus und Rassismus wohl kaum auf den Punkt bringen, als es die Autorin Lizzie Doron hier tut.

Was die Außenstehenden nicht begreifen, so kritisiert Doron, ist, dass es im israelisch-palästinensischen Konflikt eine „unlogische Symmetrie“ gebe, in der jeder auf seine Art im Recht sei. Doch auch die Bestätigungsfehler und unterschiedlichen Realitätswahrnehmungen, in denen die Figuren Lizzie und Nadim selbst gefangen sind, werden thematisiert. So verfällt Nadim gegenüber potenziellen Verbündeten quasi automatisch in eine propagandistische Friedensrhetorik und blendet dabei völlig aus, dass er – bei erfolgreicher Zusammenarbeit mit einer Israelin – von den weniger friedlichen eigenen Leuten als Kollaborateur gebrandmarkt würde und um sein Leben fürchten müsste. Die Geschichte von Lizzie und Nadim ist echt, auch wenn die Autorin Lizzie Doron die Identität von Nadim zu dessen Schutz so gut wie möglich maskieren musste. In der 72-minütigen Hörspielfassung spielt Corinna Kirchhoff die Lizzie und die kommentierende Erzählerin als deren innere Stimme. Felix Knopp spielt Nadim, der zwischen einer feind-seligen Bürokratie und einem patriarchalisch-autoritären System aufgerieben wird. In den Figuren bekommt die heillos verfahrene israelisch-palästinensische Situation eine fast tragische Plastizität und ein Lehrstück über die Bestätigungsfehler in der Wahrnehmung des Konflikts von innen wie von außen ist „Who the fuck is Kafka?“ obendrein. In Israel ist das Buch übrigens noch nicht erschienen.

Jochen Meißner — Medienkorrespondenz 16/2016

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