Subtextlose Aussagen

Jakob Nolte: Unbekannte Meister 4 – Eine Einführung in das Werk von Klara Khalil

Bayern 2, So 08.07.2018, 15.05 bis 15.56 Uhr

Am Anfang war die Parodie. Schon das erste deutsche Hörspiel „Zauberei auf dem Sender“ von Hans Flesch aus dem Jahr 1924 war ein Hybrid aus verschiedenen Radioformen. Auch das erste eigenständige Hörspiel „Unbekannte Meister 4 – Eine Einführung in das Werk von Klara Khalil“ des 1988 geborenen Romanciers und Dramatikers Jakob Nolte ist ein hybrides. Es parodiert die Formen von Feature, Reportage, moderierter Magazinsendung und Hörspiel.

Jakob Nolte. Bild: Rachel Israela.

Jakob Nolte. Bild: Rachel Israela.

Den Rahmen bildet das fiktive Feature-Format „Unbekannte Meister“, in dem es wie immer um „Verkanntes, Verkramtes und verschüttgegangen geglaubte Schätze“ geht, sowie „um die geheimsten Inseln im Ozean und die grellsten Wolken am Himmel“. Die vierte Folge dieser Reihe heißt „Werbung in Niemandes Namen“ und handelt von einer Nürnberger Künstlerin, die sich im Alter von 52 Jahren das Leben genommen hat. Der Name dieser Kunstfigur ist Klara Khalil. In ihrem Nachlass finden sich ein paar Mappen mit DIN-A2-großen Plakaten und zwei 500-GB-Festplatten mit Audiodateien. Ihr Werk besteht hauptsächlich aus nie veröffentlichter (Radio-)Werbung.

Klara Khalils Werbespots für den Autokonzern BMW klingen wie akustische Gegenstücke zu den drastischen Bildern, die der Fotograf Oliviero Toscani in den 1990er Jahren für die Modefirma Benetton gemacht hat – laut und brutal. „Sie verstand Werbung als einen wahrhaftigen Ausdruck des Seins, des menschlichen Lebens und Leidens, als aufrichtigste Form aller Künste“, sagt ein professioneller Werber über Klara Khalil, der aus Rücksicht auf seine Agentur nur unter Pseudonym Marius Erle (gespielt von Nicolai Despot) Auskunft geben will.

Werbung ist nicht nur ein Epiphänomen des Produkts, auf das sie sich bezieht, auch sprachlich arbeitet sie in der Regel mit Codes, die auf den dümmsten anzunehmenden Käufer hin optimiert sind. In Jakob Noltes Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ist Werbung aber als eine Zentralkategorie der Kommunikation zu verstehen. Denn, so Nolte in seinem Hörspiel: „Es gibt nichts was nicht auch Werbung wäre. Außer Werbung. Denn Werbung ist nur Werbung.“ Weil jede Radiosendung neben ihrem Inhalt immer auch Werbung für den Sender und die an ihr Beteiligten sei, sehnt sich Klara Khalil in ihrem Frühwerk nach einer „subtextlosen Aussage“, also einer puren und reinen Werbung. Ihre Haltung, ihre Werke der Öffentlichkeit vorzuenthalten, steht im diametralen Widerspruch zur Funktion von Werbung und wird von Marius Erle als Kritik an der Ideologie von Verwertbarkeit interpretiert.

In Noltes 51-minütigem Hörspiel geht es aber weder darum, die Werbung in einen Kunstkontext zu stellen, was in einem bestimmten Bereich der Popliteratur der vergangenen Jahrzehnte dazu diente, Konsumentscheidungen als Distinktionsgewinne zu verbuchen. Noch will das Hörspiel angesichts einer als defizitär erlebten Welt den Eskapismus in die Werbewelten feiern. Das Grunge-inspirierte Motto „Come dressed as yourself“ übersetzt die Moderatorin (gespielt von Katja Bürkle) mit „Komm verkleidet als du selbst“. Den kommunikativen Codes der Werbung ist nicht zu entkommen.

Höhepunkt von Noltes Stück ist ein Binnenhörspiel, das als 17-minütigesWerbefeature mit dem Titel „Das Land am Boden des Meeres“ von Klara Khalil angekündigt wird. Der Titel soll von Delia Derbyshire stammen, einer Pionierinder elektronischen Musik, die in den 1960er Jahren beim berühmten Radiophonic Workshop der BBC gearbeitet hat. Anders als Klara Khalil hat es Delia Derbyshire wirklich gegeben, alles andere aber ist gefakt. Weder der Hörspieltitel noch die Klanggestaltung in Noltes Stück kommt von Derbyshire. Die Hörspielmusik hat Moritz Löwe komponiert. Ein „Feature“ ist das Binnenhörspiel natürlich auch nicht, sondern die Geschichte einer Frau, die ihr Konto leerräumt, um sich eine Waffe für ihren Selbstmord zu besorgen.

Angekündigt wird „Das Land am Boden des Meeres“ gleich dreimal, als habe man bei dem Abmischen zweimal zu viel auf CTRL-V („Einfügen“) gedrückt und sich den finalen Abhörtermin gespart. Die offensichtlich als Fehler inszenierte Schleife verweist darauf, dass auch die grammatikalischen und syntaktischen Fehler sowie die schiefen Bilder absichtsvoll in den Text eingebaut wurden – als Widerhaken, die sich in die Aufmerksamkeit der Hörer bohren sollen.

So spröde Noltes Parodie auf ein Feature-Format zunächst daherkommt, so komisch sind die unterspielten Pointen und so reichhaltig die Bezüge zu gegenwärtigen Medienwelt, die der Moderatorin des Formats als ein einziges großes „Stiften von Unsicherheit“ erscheint. Wer wollte das angesichts der gegenwärtigen planvollen Destruktion der Diskurse bestreiten– man denke nur an das von Verschwörungstheoretikern gerne in Anschlag gebrachte Schlagwort „Fake News“. Nolte überbietet die Denunziation medialen Sprechens durch die Rehabilitierung eines Begriffs, der bisher für das interessengerichtete Falsche und Manipulative stand: die Werbung. Das ist eine ebenso überraschende wie intelligente Umkehrung und in seiner akustischen Realisierung absolut hörenswert.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 14/2018

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