Oasensterben

Kleine Radiovorschau. 21. bis 27. Dezember

Der föderal organisierte Rundfunk der ARD garantiert keine Programmvielfalt. Bereits auf sechs regionalen Infowellen läuft täglich von 23 bis 6 Uhr die vom MDR produzierte »ARD-Infonacht«. Nachrichten zu jeder halben Stunde, dazwischen die »Highlights des Tages«, also die Übernahme bereits gesendeter Kurzberichte. Beim Deutschlandradio hat der Intendant Willi Steul dem Deutschlandfunk ein beinahe identisches Format verordnet: Ab März 2013 soll die neue »Wortnacht« zur Kostensenkung beitragen. Dagegen haben mehrere Dutzend Redakteure des DLF in einem Brief an ­Steul protestiert. Der »Wortnacht« fällt eine wahre Oase in der nächtlichen Radiowüste zum Opfer: Das »Nacht-Radio« (Mo. bis Fr. 1.05 Uhr), in dem etwa diesen Dienstag morgen Karl Lippegaus an den großartigen Bluessänger und Gitarristen Big Joe Williams erinnerte. Auch der »Soundcheck« (samstags, 1.05, DLF), der einen nach so manch verkorkstem Mitternachtskrimi wieder mit dem Radio versöhnt hat, würde wegfallen.

Dies ist auch Ausdruck der Demontage zweier Vollprogramme: DLF soll als seriöse Infowelle, DKultur als leichtes Radiofeuilleton gebrandet werden. Dafür produziert der DLF seit kurzem recht viele Features selbst und stellt sie als Podcast zur Verfügung. An sich eine gute Sache, aber leider nur Folge der neuen Vermarktungsstrategie. Die Reportage über Scientology »Wir haben Dich lieber tot als unfähig« von Markus Thöß sollte man sich trotzdem anhören (Fr., 19.15 Uhr; DLF).

Mit O-Tönen von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs, wartet das Hörspiel »Radio Wauland« von Nika Bertram auf. Die letztes Jahr vom WDR produzierte fiktive Geschichte um den Hacker Schockwellenreiter, der das titelgebende Radio betreibt und damit auch einen Störsender schafft, wiederholt jetzt BR 2 (Fr., 21.03 Uhr). Am 20.12. wäre Holland 61 Jahre alt geworden.

Der aus »Computer und Kommunikation« (samstags, 16.35 Uhr, DLF) bekannte Hörfunker Maximilian Schönherr thematisiert im Feature »Takten bis zum Kollaps« (So., 16.30 Uhr, DLF) Datenverarbeitung und -übertragung in einer wachstumsorientierten Gesellschaft. Sein Hörspiel »Digital gestörte Weihnachten« (2011) folgt am Montag, 16.30 Uhr im DLF.

Die 14teilige »Chronik der Gefühle« (BR 2009) von Alexander Kluge wurde beim Hörbuchpreis 2010 als beste Fiktion ausgezeichnet. Zum Jahreswechsel sendet BR 2 das Stück in Gänze (ab Di. tägl., 21 Uhr). »Die Wahrheit über Hänsel und Gretel« war 1963 die erste Veröffentlichung des Zeichners Hans Traxler. Zwischen den Jahren wird die Kriminalgeschichte aus der neuen Frankfurter Schule um den Märchenarchäologen Ossegg im Radio urgesendet (Do., 23 Uhr, 1 Live).

21.12.2012 junge Welt, Rafik Will

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