Neues aus der Heimat des Szlabbesz

Die österreichischen Hörspieltage 2013 in der Villa Berging

Götz Fritsch. Foto: Robert Schoen

Götz Fritsch

Ktchhrrr-rrr-rrr-rrr … lautstark setzt Regisseur Götz Fritsch eine überdimensionale Ratsche in Bewegung, um nach genau „Sieben Minuten Pause!“ die Teilnehmer wieder in das Auditorium zu rufen, das Obergeschoss einer umgebauten Scheune der Villa Berging in der Gemeinde Neulengbach. In der niederösterreichischen Idylle, gut 40 Kilometer westlich von Wien, treffen sich alljährlich um Christi Himmelfahrt herum deutschsprachige Autoren zu den österreichischen Hörspieltagen. Länger als sieben Minuten sind die Pausen selten bei dieser prall gefüllten Veranstaltung. Gut 30 Hörspiele wird man in den drei Tagen hören und man wird über sie diskutieren.

"Gefallene Schönheit" - ein Hörspiel mit Smartphone-Anbindung. Foto: Jochen Meißner
Die Hörspieltage sind ein Einladungsturnier, bei dem die Autorinnen und Autoren ihre besten aktuellen Stücke vorspielen dürfen und sich anschließend dem Urteil der Kollegen stellen. Manchmal können die präsentierten Stücke auch herbe durchfallen, wie in diesem Jahr der Smartphone-unterstützte Hörspielkrimi „Gefallene Schönheit“ von Florian Goldberg und Heike Tauch (vgl. hierzu FK 31/12) oder Gerhard Meisters dystopischer Wutanfall „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“. Doch selten dominierten die Leidenschaften die fachlich-analytischen Diskussionen, und begeisterte Zustimmung gab es natürlich auch.

Szlabbesz am Band

Zum ersten Mal fanden die österreichischen Hörspieltage 1971 in Unterrabnitz statt, später dann in Rust und seit fast einem Jahrzehnt ist der Flecken Berging die Heimat des „Szlabbesz“. Das Kunstwort des ursprünglichen Initiators der Hörspieltage, des Autors Jan Rys, das in verschiedensten Schreibweisen kursiert, aber immer „Schlabbes“ ausgesprochen wird, bezeichnet die Nonsens-Trophäe, die man jeweils nach gefühlter überwältigender Zustimmung aus dem Publikum erhält (es werden stets mehrere pro Tagung vergeben). Materiell war der „Szlabbesz am Band“ jahrzehntelang ein Bobby, jene flache Metallscheibe, um die man in analogen Zeiten das Magnettonband gewickelt hatte. Inzwischen ist der Bobby durch eine CD mit der Aufnahme der Diskussion über das so ausgezeichnete Hörspiel ersetzt worden, die man sich um den Hals hängen lassen muss.

Götz Fritsch, Peter Kaizar, Robert Woelfl. Foto: Robert Schoen

Götz Fritsch, Peter Kaizar, Robert Woelfl

Getragen wird die Tagung – nach dem Ausstieg des Österreichischen Rundfunks (ORF) aus der Finanzierung – von der Literar-Mechana, dem österreichischen Gegenstück zur Verwertungsgesellschaft (VG) Wort, und vom österreichischen Verband Dramatiker und Dramatikerinnen. Organisiert wird das Treffen vom Autor Robert Woelfl, dem Komponisten Peter Kaizar, dem Regisseur Götz Fritsch und ORF-Hörspielchef Peter Klein.

Nicht nur fertige Produktionen können bei den Hörspieltagen in Berging vorgestellt werden. Auch Stücke, die sich noch im Manuskriptstadium befinden, oder Beiträge aus anderen Medien, die noch den Weg ins Radio suchen, werden präsentiert oder performt. Der österreichische Autor Peter Danziger beispielsweise stellte seinen Theatertext „Mozart in Paradise“ vor – wer solche Paradiese hat, sagt das Stück, braucht keine Höllen mehr. Es kommt aber auch vor, dass die Teilnehmer kurzerhand verpflichtet werden, eine Rolle aus einem noch nicht realisierten Manuskript zu übernehmen. In gleich alle Rollen schlüpfte im abendlichen Beiprogramm der Schauspieler Wolfram Berger in Oskar Panizzas groteskem Drama „Das Liebeskonzil“ von 1894, das im Lauf der Geschichte immer mal wieder zensiert und verboten wurde und dem Autor ein Jahr Einzelhaft einbrachte. Bergers Auftritt war ein großer Spaß für den Vortragenden und das Publikum.

Das Spektrum der vorgestellten Hörspiele reichte von Oswald Eggers sprachexperimenteller Studie „Linz und Lunz“ „(SWR, Regie: Iris Drögekamp) über Matthias Wittekindts Funkerzählung „Die Ziege“ (NDR, Regie: Christine Nagel) bis hin zu Peter Kaizars 5.1-Surround-Inszenierung von Magda Woitzucks Hörspiel „Das Glashaus“ (ORF). Ulrike Janssen lieferte einen Werkstattbericht ihres Stücks „The Making of … Harry Partch“, das kürzlich im Programm WDR 3 auf dem Sendeplatz des „Studios Akustische Kunst“ urgesendet worden ist. In Janssens Produktion geht es um die Geschichte einer musiktheatralen Inszenierung eines weithin unbekannten Komponisten für die Ruhrtriennale 2013.

„Einfach fristlos entlassen“

Peter Klein. Foto: Robert Schoen

Peter Klein

Erstmals wurden in Berging auch studentische Arbeiten der Fachhochschule St. Pölten und der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst präsentiert, die sich vor keiner professionellen Hörfunkproduktion zu verstecken brauchen, ganz im Gegenteil. ORF-Hörspielchef Peter Klein ließ sich sogar zu der nicht ganz ernst gemeinten Forderung hinreißen, dass angesichts solcher Produktionen die ganzen „oalten Literaturtrotteln aus dem institutionellen Rundfunkzusammenhang einfach fristlos entlassen gehören“. Wie man „Ein paar Schritte“ zu einer Horrorgeschichte machen kann, ohne auf Dialoge angewiesen zu sein, führte das sehr vom Filmton her gedachte Stück der Studenten Lisa Gringl, Doris Pongratz und Bettina Wagner vor. Tobias Leibetseders Kurzhörspiel „Ein Waldstück für Teekessel, vier Katzen und zwei Violinen“ zeigte exemplarisch, wie man an Geräuschen irre werden kann. Natürlich gab es dafür einen „Szlabbesz“.

Auch ein anderes Debüt überzeugte. Rebecca C. Schnyders von Judith Lorentz im Auftrag des Südwestrundfunks (SWR) inszenierte Geschichte „Über dem Tal“ spielte in quälender Intensität die Kommunikationsblockaden bei der Wiederbegegnung eines jugendlichen Liebespaares aus. Nach der Hörspielüberdosis von drei Tagen Berging, von der in diesem Bericht nur ein Bruchteil vorgestellt werden kann, fühlt man sich, als wäre man 14 Tage lang weggewesen. Und so befriedigte am letzten Tag Werner Fritsch vom Sounddesign dominiertes Hörgedicht „Faust Sonnengesang“ (vgl. auch FK 19/13) ein Bedürfnis nach Erlösung, das vorher wohl kaum einer der Teilnehmer bei sich vermutet hätte.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 27/2013

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