Mustergültig

Oliver Augst / Michael Riedel: Selbstbeschreibung

HR 2 Kultur, Sa 25.09.2021, 23.00 bis 23.54 Uhr

Diesmal singt Oliver Augst nicht selbst, wie in so vielen seiner Hörspiel- und/oder konzertanten Projekte, wie beispielsweise in „Alle Toten 1914“ (vgl. FK 26/14) oder zuletzt in der „Winterreise“ oder in „Lou Reed in Offenbach“. In seinem neuen Hörspiel „Selbstbeschreibung“ sprechen die Computerstimmen Bones, Bruce, Catherine, Fiontan, Marie Ork, Markus, Mieke, Sarah, Vicky, Victoria und verschiedene andere mehr. Aber was sprechen sie eigentlich? Texte kann man das Wortmaterial kaum nennen, das die Grundlage für Augsts Hörspiel bildet. Es beruht auf einer Klanginstallation zu den Werken des bildenden Künstlers, Malers und Grafikers Michael Riedel.

Es ist nicht die erste Arbeit, die Oliver Augst auf Basis eines bildkünstlerischen Werks realisiert hat. Schon mit seinem Stück „Otium“ (HR 2016) reagierte er auf ein Künstlerbuch des österreichischen Künstlers Franz West (1947-2012). Wie überhaupt das Hörspiel nicht auf Adaptionen von Romanen oder Theatertexten angewiesen ist, sondern eben auch Werke der bildenden Kunst zum Ausgangpunkt nehmen kann, wie zuletzt beispielsweise Heiner Goebbels es tat, als er sich in seinem Stück „Gegenwärtig lebe ich allein“ mit den Bildern von Henri Michaux auseinandersetzte (Kritik hier). Ulrike Brinkmann, ehemals Hörspieldramaturgin bei Deutschlandradio Kultur, hatte für dieses Feld sogar einmal eine langlaufende Reihe unter dem Titel „Kunststücke“ eingerichtet.

„Selbstbeschreibung“ basiert auf der 22-stimmigen Klanginstallation zu Michael Riedels gleichnamiger in phonetischer Umschrift „zɛlpstbəˈʃʁaɪ̯bʊŋ“ betitelten Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste im Jahr 2019. Im Leipzig hat der 1972 geborene Michael Riedel eine Professur für Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst inne.
Die Text-to-Speech-Automaten verschiedener Softwaregenerationen übersetzen Riedels Werke von ihrer fixierten Zweidimensionalität in die flüchtige Linearität des akustischen Mediums. Strukturiert ist das Hörspiel alphabetisch von A bis Z. Eine der ersten Wortverbindungen – einen Satz möchten man sie nicht nennen – ist: „Aktionen aktiviert Aktivität aktuellen algorithmischen allerdings“. Darauf folgt wiederholt das Wort „Aneignung“. Auch jenseits der Alliterationen bemüht sich das Hirn des Höreres Sinnzusammenhänge und Muster zu erkennen – oder diese zu konstruieren.

Verben gibt es nur wenige, stattdessen wird das Stück musikalisch von Repetitionen gestanzter Wortbestandteile vorangetrieben und ab und zu um ein paar Fetzen Popmusik ergänzt – die man wohl nur identifizieren kann, wenn man über die entsprechende Generationenkompetenz verfügt. Denn wer erinnert sich noch an Jona Lewie und seinen Hit „You’ll Always Find Me in the Kitchen At Parties“ aus dem Jahr 1980?

Als Selbstbeschreibung des „Betriebssystems Kunst“ – was immer diese Bezeichnung genau meinen soll –, kommen in dem Stück Wörter aus Katalogtexten zu Riedels Ausstellungen vor, meist Substantive, Adverbien und Adjektive. Die ersten neun Minuten des Hörspiels bringen die Buchstaben A und B zum Klingen, dann geht es schneller weiter: Das C ist weitgehend den „Clubs“ gewidmet, D der „Distribution“ und so geht es weiter durch das ganze Alphabet – mit gelegentlichen Rücksprüngen.

Was man strukturell als Anlehnung an die Sprachspiele von Franz Mon oder Gerhard Rühm auffassen könnte, ist doch etwas anderes, nämlich die Emanzipation der synthetischen Stimmen von ihrer Funktion als Vorleseautomaten zur Rhythmusmaschinen. Allerdings sind die Rhythmen, die hier erzeugt werden, eher flächige Strukturen als Beats – analog zu den grafischen Werken Riedels. Manchmal aber ragen Clicks and Cuts aus den Rhythmuswellen hervor und stechen direkt ins Trommelfell.

Was nicht heißen soll, dass die synthetischen Stimmen nicht auch über eine artikulatorisch-melodische Dimension verfügen. Mit Frage- oder Ausrufungszeichen kann man eine künstliche Stimme zu bestimmten Intonationen bewegen, durch die man dann auch bloßen Alliterationen eine Satzmelodie geben kann. Und manche Stimmen haben ihren eigenen Singsang in den Betonungen. Aber gesungen wird zwischendurch auch: die A-cappella-Kantate „Oh endless is this misery“ von Hanns Eisler – natürlich von einem Gesangsstimmengenerator namens „Alter/Ego“, der Software-Firma Plogue.

Wer oder was dieses Selbst ist, das sich im Hörspiel von Oliver Augst beschreibt, ist unklar. Dass es nicht die Autoren sind, ist offensichtlich. Dass es nicht die synthetischen Stimmen sind, ebenso, denn die haben kein Selbst. Zu vermuten ist, dass es die Schrift selbst ist, die sich hier beschreibt. Schrift und Schreiben fallen auseinander und begegnen sich in einem anderen Medium, nämlich dem der gesprochenen Sprache wieder. Einer Sprache allerdings, die von Maschinen gesprochen wird und nach musikalischen Gesichtspunkten strukturiert ist. Damit entkommt man der oft paradoxen Zirkularität der Selbstreflexion. Was schon in der phonetischen Schreibweise des Titels von Riedels „Selbstbeschreibung“-Ausstellung angedeutet wurde, hat Augst mustergültig als Radioversion umgesetzt. Schrift im Hörspiel? Mit Oliver Augst und Michael Riedel ist das kein Problem, sondern ein Gewinn für beide Seiten.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 21/2021

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