Ein Hörspielgemälde über Krieg und Traumata

Mona Winter: Tot im Leben

RBB Kultur, 29.04.2022, 19.00 bis 20.00 Uhr

In „Tot im Leben“ von Mona Winter erzählen Mamá, Gisi und Maya von tradierten, traumatisierenden Kriegserfahrungen während die Sirenen alarmierend und warnend ihre Ängste aktualisieren. Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste hat das komplexe Stück zum Hörspiel des Monats April gewählt.

Oda Thomeyer (Mamá). Bild: Thomas Ernst, RBB.

„Es passiert, was soll man sagen?“ ist die Leitfrage, auf die Mona Winter in ihrem Hörspiel „Tot im Leben“, das sie auch selbst inszeniert hat, eine Antwort zu geben versucht. Die Mamá (Oda Thormeyer), die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, will ihrer Tochter Gisi (Patrycia Ziolkowska) den „Mutterfrieden“ einpflanzen während ihre Freundin Maya (Mariana Karkoutly im O-Ton) von Syrien erzählt – jenem „Kingdom of Horror“ in dem permanent das passiert, von dem zu reden sein wird. Eine Hauptrolle spielt die Angst, die in Sentenzen der (männlich besetzten) Sirene immer wieder hervorgerufen wird: „Bin Dynamit / in deinen Ohren / Dass sie zerspringen / Durch Gesang und Stimme / Auf die zu hören / Nicht Ende / Nicht Anfang ist“.

Patrycia Ziolkowska (Gisi). Bild: Thomas Ernst, RBB.

Es braucht kaum zwei Minuten und die Hörspielkomposition von Bülent Kullukcu, um in eine Welt hinabzusteigen, in der der Frieden ungleich verteilt ist und allzu Viele unter einem Ausnahmezustand leben müssen, in dem sie „tot im Leben“ sind, wie es sie Syrerin Maya ausdrückt. Natürlich sind Sirenen zu hören, jene technischen Warnanlagen, die ein französischer Physiker vor zweihundert Jahren erfunden und mit einem mythologischen Namen belegt hat, der Verführung und Vernichtung ins Bild fasst. Auf die Ambivalenz der Bilder von Sirenen des französischen Malers Adolphe La Lyre (1848-1933), die ausgerechnet im Münchner „von Nazi-Geist gebauten“ Haus der Kunst ausgestellt sind, wird im Hörspiel auch noch Bezug genommen.

Es sind die Überblendungen von Bildwelten, die das ganze Hörspiel durchziehen. Der Zug, als Metapher für die Deportationen im sogenannten Dritten Reich, fährt in Mona Winters Hörspiel durch das Bergische Land von Wuppertal über Remscheid und Solingen bis Leichlingen und ein Schaffner namens Herr Kosmo führt durch die Idylle. Währenddessen erzählt die Soundspur eine andere Geschichte und Maya berichtet von ihrer Fluchtbewegung von Syrien nach Dubai und wieder zurück nach Syrien. Idylle und Inferno existieren gleichzeitig nebeneinander und das teilt sich in diesem Hörspiel schon auf akustischer Ebene unmittelbar mit, auch ohne dass man im Text permanent darauf hingewiesen oder Sirenen erschallen müssten.

In insgesamt 31 kurzen Szenen springt das 53-minütige Hörspiel zwischen den Ebenen der unterschiedlichen Lebens- und Kunsterfahrungen hin und her und verknüpft so die verschiedenen Erzählstränge. Selbst die sonst oft problematische Verknüpfung von O-Tönen und Schauspielertext fügen sich harmonisch zu einem Gewebe aus Erinnerung zusammen – ergänzt um einschlägige Zitate aus Werken von Heinrich Heine über Nelly Sachs, Maria Leitner, Erich Kästner bis hin zu Thomas Mann. „Immer noch hängen die Schlingen für unsere Hälse gedreht / Vor uns in der blauen Luft“, zitiert Winter aus einem Gedicht von Nelly Sachs, sein Titel: „Chor der Geretteten“.

An diesen Punkt erinnert man sich an den Kinderchor, der zum Auftakt des Hörspiels bei seinem Abstieg zur nie geglaubten Hölle „in der Erinnerung / brennend eingegraben / ein Bild / Zitronenblau / vom Paradies“ evozierte – und das gegen Ende des Stückes wieder aufgenommen wird. In der linearen, zeitbasierten Kunstform ist Mona Winter ein vielschichtiges Hörspielgemälde unter (zitronen-)blauem Himmel gelungen.

Jochen Meißner, KNA Mediendienst 11.05.2022

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