Ein Dialog zu dritt

Ruth Johanna Benrath: GEH DICHT DICHTIG! Hörspieldialog mit Elfriede Gerstl

ORF Ö1, So 7.4.19, 23.00 bis 23.42 Uhr / Bayern 2, Fr 12.04.2019, 21.05 bis 22.47 Uhr

Der Dialog beginnt mit einer Zurückweisung. Auf die Bitte, als „deutsches Reh“ engagiert zu werden, gerne als Bestandteil eines Paarreims auf „Fee“, „Zeh“ oder „Theodizee“, wird mit einem knappen „Nein“ geantwortet. Dabei hat das Reh gute Argumente: Noch nie ist es „Unwort des Jahres“ geworden und auch wenn man ihm Einsilbigkeit vorwerfen kann, schon im Plural dient es als Trochäus. Und dennoch bleibt es bei der Ablehnung: „keinrehkeinrehkeinreh“.

Ruth Johanna Benrath. Bild: Bernd Suchland.

Ruth Johanna Benrath. Bild: Bernd Suchland.

Aber wer spricht in dem 42-minütigen Hörspieldialog „GEH DICHT DICHTIG!“? Klar, dass es weder „das deutsche Reh“ noch der später auftretende „Donald Duck“ oder „Der Kaiser von …“ ist. Zu vermuten ist, dass es die 1966 geborene Hörspielautorin und Lyrikerin Ruth Johanna Benrath ist, die mit der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Gerstl (1932-2009) ein posthumes Gespräch führt. Doch beide verschwinden hinter den Figurationen ihrer lyrischen Ichs, die verschiedene Formen annehmen können. Vielleicht aber erübrigt sich die Frage, wer da spricht, ja auch, denn laut Elfriede Gerstl führen Fragen nicht zu Antworten, sondern zu Fragen: „bin ich aus sprache oder nicht / auf füßen gehendes gedicht / ich weiß nicht wer da spricht“.

Am 9. April 2019 jährte sich der Todestag von Elfriede Gerstl zum zehnten Mal. Einen längeren Prosatext hat sie geschrieben („Spielräume“, 1977), ein paar wenige Hörspiele in den frühen 1970er Jahren (etwa „Sätze mit Haus und Haut“; vgl. FK-Kritik). Außerdem Essays und Gedichte, die von einer überraschenden Leichtigkeit sind für einen Menschen, „der von den Nazis dafür vorgesehen war, nicht mehr dazusein“, wie es Elfriede Jelinek in ihrer Laudatio auf die Freundin anlässlich der Verleihung des Erich-Fried-Preises 1999 auf den Punkt brachte. Man muss sich Elfriede Gerstl in prekären Verhältnissen lebend vorstellen, „sitzend“, so Jelinek weiter, „auf ihrem Haufen von wunderbar spitzigen Sätzen (wie abgenagte Hühnerknochen in einem Plastiksackerl, würde sie sagen), einer Sammlung an Wissenswürdigkeiten, die sie gebündelt hat, bereit, sie jederzeit wo andershin zu transportieren“.

Die „spitzigen Sätze“ Gerstls, gesprochen von der vielfach ausgezeichnete Schauspielerin und „Vorstadtweib“ Gerti Drassl, stechen auch in Ruth Johanna Benraths Hörspieldialog immer wieder hervor: „worüber man nicht / reden kann / darüber soll man / schreiben (bzw. darauf / soll man scheißen)“, parodiert sie den Wiener Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein. Und in der Rolle der „penelope, angfressn“ schimpft sie auf ihren Mann, den „oasch“ Odysseus: „mia imponiast net mit deina odyssee / du erfinder des ohropax“. Auf Gerstls Veralberung des Mythos antwortet Ruth Johanna Benrath ihrerseits mit einem Gedicht über den schlaflosen „herrn niemand aus übersee“ – gesprochen von Dörte Lyssewski. Benraths Hörspieldialog ist zwar auch eine Hommage an die große Dichterin Elfriede Gerstl, doch ihre Texte sind weit mehr als funktionale Stichwortlieferanten, sie sind Lyrik eigenen Rechts – und eigener Komik: „Audel sau dau Maunsch. Stammt das nicht von Goethe?“

Es gibt noch eine weitere Partnerin in Benraths Hörspieldialog, ein klangliches Tertium comparationis, eine Künstlerin, die die Koproduktion von ORF und BR „GEH DICHT DICHTIG!“ zu einem im wahren Sinne hörspielerischen Dialog zu dritt macht: Die Vokalistin Lauren Newton, die schon Ernst-Jandl-Gedichte stimmlich veredelt hat, setzt ihre Stimme ein, um die geräuschhafte Materialität der Texte hervorzuheben. Das kann die Reduktion der Wörter und Sätze auf deren mehr oder weniger unrunde Vokale und/oder die reibenden oder zischenden Konsonanten sein. Das kann eine koloraturartige Melodie sein oder auch ein kontrastierender Rhythmus, den Regisseurin Christine Nagel den Texten entgegengesetzt hat. Lauren Newtons Umgang mit den Texten ist auf eine andere Art lautpoetisch als der, den man gewöhnlich mit der Lautpoesie assoziiert, weil dieser Umgang die geräuschhaften Möglichkeiten mit einbezieht, zu denen der menschliche Artikulationsapparat in der Lage ist.

Das klingt nicht immer „schön“ im herkömmlichen Sinne, ist den Texten von Elfriede Gerstl aber angemessen, weil sie, noch einmal Elfriede Jelinek, „eine einzige Katastrophe sind, in dem Sinn, dass sich in ihnen die Katastrophen sehr leise, leicht und so schnell ereignen, dass man sie als Katastrophen kaum wahrnehmen kann oder erst hinterher“. Und dennoch sind die Texte von Elfriede Gerstl und die von Ruth Johanna Benrath wunderbar ausbalanciert zwischen kalauernder Komik und untergründiger Tragik, denn so Elfriede Gerstl: „alles was man sagen kann / kann man auch beiläufig sagen“.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 8-9/2019

 

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