Die Trennung von Stimme und Text

Christoph Buggert/Helga Pogatschar: Schachabend – Kriminaloper

Bayern 2, So 13.03.2016, 15.00 bis 15.55 Uhr

Salome Kammer (Stimme), Stephanie Pagitsch (Flöte), Giorgi Gvantseladze (Oboe), Slava Cernavca (Klarinette), Casey Rippon (Horn), Martynas Sedbaras (Fagott), Helga Pogatschar (Komposition) Bild: Stephanie Ramb (BR)

Das Ensemble der Kriminaloper. Bild: Stephanie Ramb (BR)

Mit der Oper, so verrät Christoph Buggert, habe er noch nie etwas anfangen können. Dass „Schachabend“, sein Hörspieltext für fünf Stimmen, zu einem Libretto geworden ist, ist Herbert Kapfer, Leiter der Abteilung „Hörspiel und Medienkunst“ beim Bayerischen Rundfunk (BR) zu verdanken, der die Komponistin Helga Pogatschar mit der Realisation des 55-minütigen Stücks betraut hat, das im Untertitel als „Kriminaloper“ ausgewiesen wird. Fünf Blasinstrumente sind im Spiel: Flöte (Stephanie Pagitsch), Oboe (Giogi Gvantseladze), Klarinette (Slava Cernavca), Horn (Casey Rippon) und Fagott (Martynas Šedbaras). Und diese Instrumente übernehmen die Stimmen von fünf honorigen Herren, die sich an jedem letzten Dienstag im Monat zu einem privaten Schachturnier treffen. Die Texte aller fünf Figuren spricht, singt und performt die Vokalistin Salome Kammer. Es ist eben diese Trennung von Stimme und Text, will heißen: die musikalische Synchronisierung der Sprechrollen durch die fünf Blasinstrumente, die den opernhaften Anteil der Produktion ausmacht.

In Buggerts Stück kann der Schachabend nicht ordnungsgemäß beginnen. Der Gastgeber Konrad Ramelow (mit der Stimme des Fagotts) muss seinen Kumpanen zunächst etwas zeigen. Im Keller hält er einen Einbrecher gefangen, den er kurz zuvor in flagranti ertappt hatte. Detailliert beschreibt Buggert die improvisierte Fesselung mit Hundeleine und Plastikschnur, die den Gefangenen in eine kniende Position zwingt. Zudem wird er mit einem Geschirrtuchknebel brutal stillgestellt.

Wie nun mit dem Einbrecher verfahren? Der Hausherr fordert eine körperliche Züchtigung nach allen Regeln der Kunst zur Abschreckung. Doch seine Schachbrüder weisen das als unzivilisiert zurück und setzen eine kurzfristige Gerichtsverhandlung an. Das Setting erinnert an Friedrich Dürrenmatts Theaterklassiker „Die Panne“. Doch für jeden anständig geführten Prozess, „der mindestens zwanzig Minuten dauert“ (so einer der Herren), braucht es eine „amtlich abgesegnete Handlungsanleitung“, die dann auch von Dr. Kugelmann (Horn) kurzfristig beschafft wird. Es handelt sich um ein fadenscheiniges Exemplar des „Kaiserlich-österreichischen Kriegsstrafrechts“, das er im Nachlass seines Schwagers gefunden hat.

Der Hausherr ist sehr einverstanden mit den „grottenalten Paragraphen“, denn, so Ramelow: „Das Recht ist ein Vogel in der Luft, zeitlos und hoch über den Köpfen.“ Außerdem wähnt er sich in seinem Haus im Krieg, das er mit Hilfe seiner Truppen – die allein aus der irischen Wolfsdogge Mary-Ann bestehen – verteidigt habe. Doch das k.u.k. Kriegsstrafrecht, das noch bis 1918 galt und zur Sanktionierung von Kriegsverbrechen angewandt wurde, wird hier zur falschen Zeit am falschen Ort von den falschen Akteuren gegenüber dem falschen Beschuldigten exekutiert. Das wissen die Herren auch und lassen den Einbrecher dann an ihrem Schachabend teilnehmen, bei dem er sich als virtuoser Kenner der Materie erweist.

Aber „Schachabend“ wäre kein Stück von Christoph Buggert, wenn es nicht auf eine bösartige Pointe zulaufen würde. Denn das Urteil, das die fünf Herren schließlich fällen – „einmal Rasenmähen am nächsten Morgen“ –, lässt dem Hausherrn keine Ruhe, so dass er den Einbrecher über Nacht bei „abgesenkter Fesselung“ wieder in den Keller verbannt. Sein Hund habe sich von dem Mann bedroht gefühlt, führt er den Freunden gegenüber an. Nach abermaliger Überprüfung der Gesetzeslage nachts um vier habe er keine andere Wahl gehabt, als nach dem kaiserlich-österreichischem Kriegsstrafrecht die Todesstrafe zu vollstrecken.

Die Denkfigur, sich in der Defensive zu befinden und deshalb das Recht in die eigenen Händen nehmen zu dürfen, spielt Buggert bis zur letzten Konsequenz durch. Dass diese Einstellung, die der Sozialpsychologe Harald Welzer kürzlich als „normative Obdachlosigkeit“ beschrieben hat, nicht auf die Eliten beschränkt ist, kann man gegenwärtig an der exponentiell steigenden Zahl terroristischer Anschläge auf Flüchtlingsheime hierzulande beobachten.

Obwohl Buggerts Text nicht auf eine rhythmische Realisierung angelegt ist, schafft es die sehr variable Stimme von Salome Kammer, im Stakkato durch die Sätze der Figuren zu hüpfen oder im Legato die beschreibenden Passagen zu passieren. Die Figuren bekommen dabei phasenweise gerade genug Individualität, um sie aus ihrem elitären Kollektiv hervorzuheben. In der Komposition und Inszenierung von Helga Pogatschar, die hier die fast vergessene Gattung der „Funkoper“ wiederbelebt, steht der hohe Opernton in spannungsreichen Kontrast zur Niedrigkeit der Handlung. Die Kriminaloper „Schachabend“ gehört übrigens zu Buggerts fünfteiligem Hörspielprojekt „Oleanderplatz – Aus dem Alltag unserer Eliten“, auf dessen weitere Folgen wir uns freuen dürfen.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 6/2016

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