Das Buch als Wirtschaftsgut betrachtet

Serotonin: Der Kapitän segelt nach Amazon

SWR 2,So 21.06.15, 14.05 bis 15.00 Uhr

Glaubt man dem Sachbuchautor, Verleger und Selfpublishing-Experten Ruprecht Frieling, dann ist es illusorisch, mit einem gedruckten Buch auch nur den Mindestlohn von 8,50 Euro verdienen zu wollen. Fünfzig Prozent vom Endverkaufspreis bekommt der Händler. Vom Händlerabgabepreis des Verlags (abzüglich der Mehrwertsteuer) bekommt der Autor gerade einmal sechs bis acht Prozent. Bei einem 10-Euro-Buch, so rechnet Frieling vor, macht das etwa 30 Cent pro verkauftem Exemplar. Bei einer sehr ordentlichen Auflage von 8000 Exemplaren ergibt das insgesamt 2400 Euro für den Autor. Der Rest geht für die Agenten, Verleger, Lektoren, Umschlaggestalter, Drucker, Buchbinder, Handelsvertreter, Lageristen, Auslieferer und Buchhändler drauf.

Doch das muss nicht sein. Warum sich einen renditeorientierten Verlag suchen, der schon ein fertiges Buch haben will, bevor er überhaupt aktiv wird, wenn man im Zeitalter der Digitalisierung diese Dienstleistung entweder gar nicht braucht oder sie selbst erledigen kann? Ein „Holzbuch“ kommt zwar in der Regel nicht dabei heraus, aber auf dem E-Book-Markt soll ja gerade Goldgräberstimmung herrschen. Dabei sind Selfpublishing und Crowdfunding nicht erst mit der Digitalisierung aufgekommen. Marcel Proust hat seine Druckkosten selbst zahlen müssen und Friedrich Schiller konnte seine Bücher nur im Subskriptionsverfahren finanzieren.

Serotonin: Das BlausteinbuchMarie-Luise Goerke und Matthias Pusch, die als Autorenduo Serotonin Hörspiele, Hörbücher und Radiofeatures produzieren, wollten nun auch einmal einen Roman schreiben. Und das haben sie dann auch getan. Es ist ein Genremix zwischen historischem Abenteuer- und Bildungsroman geworden, ein 600-Seiten-Wälzer mit dem Titel „Das Blausteintuch – ein Renaissance-Roadmovie“. Für 2,99 Euro kann man das E-Book bei Amazon kaufen – wovon das Autorenduo 70 Prozent erhält. Sieht nach einer klaren Win-Win-Situation aus.

Wie aus einem Manuskript ein Buch wird, dass heißt ein verkaufbares Wirtschaftsgut, erzählen die Serotonins in ihrem sehr unterhaltsamen 55-minütigen Feature „Der Kapitän segelt nach Amazon“. Denn schon im ersten Beratungsgespräch stellen die Autoren fest, dass man zwecks besserer Lesbarkeit nicht überkomplex mit Personen und Handlungssträngen, Zeit- und Ortsverschiebungen umgehen sollte. Also noch mal zurück auf Anfang und nach dem Rausch der Kreativität das Buch erst einmal komplett umschreiben. Dann Testleser zwecks Lektorat engagieren (warum nicht den alten Deutschlehrer fragen?), einen Titel finden (ist „Banca rotta“ besser als „Das Blausteintuch“?) und Titelschutz anmelden. Außerdem muss ein Coverbild gefunden werden; das wird an echten Passanten getestet und schließlich lizenziert, damit man keine Urheberrechtsverletzung begeht.

Ohne Recherchen stecken 450 Stunden reiner Schreibzeit in dem Buch, wie die Autorensoftware Papyrus verrät. Beim Mindestlohn für beide Autoren müssen 7650 Euro rausspringen, damit sich das Projekt rechnet. Dafür muss man auf Amazon 2500 Exemplare des E-Books verkaufen – als Verlagstitel müsste dafür die Auflage fast zehnmal so hoch sein.

Neben den Selbstverlagsexperten, bei denen sich die Autoren Rat holten, kommt in Serotonins Radiofeature auch Andrea Müller zu Wort, die Lektorin und Programmleiterin Hardcover und Paperback bei der Münchner Verlagsgruppe Droemer Knaur ist. Auch sie ist eine der vielen Lektorinnen, die nur außerhalb ihrer Arbeitszeit zum Lesen kommen, dafür aber auf das Gespür der Leser setzt, die über die dem Verlag angeschlossene Selfpublishing-Plattform Neobooks die Titel entdecken, die Müller dann später oft ins reguläre Printprogramm übernimmt. Einen Verteidiger des klassischen Verlagsgeschäfts hört man in dem Feature leider nicht.

Ähnlich wie in Paul Plampers Hörspiel „TOP HIT leichtgemacht – In 50 Minuten an die Spitze der Charts“ (WDR 1Live; vgl. FK 24/02) sind hier die Autoren gleichzeitig Akteure und Berichterstatter. Die Recherche erfolgt sozusagen aus persönlicher Betroffenheit am lebenden Objekt und am Schluss gibt es eben nicht nur ein Feature über eine Buchproduktion, sondern auch das Buch selbst. Der Song, der in Plampers Hörspiel entstand – „I can see it in your eyes“ – hat es schließlich bis auf Platz 37 der deutschen Single-Charts gebracht. „Das Blausteintuch“ stand drei Wochen nach Erscheinen auf Platz 12.179 im Amazon-E-Book-Ranking. Das Serotonin-Duo plant schon eine Fortsetzung des Romans.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 14/2015

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.