Bloom Bloom Pow!

Die Radiovorschau. 15. bis 22. Juni 2012

Mit dem Strom zu schwimmen, ist meistens ziemlich leicht. In den »stream of consciousness« oder Bewußtseinsstrom Leopold Blooms einzutauchen, ohne in diesem Sog unterzugehen, ist es hingegen nicht. James Joyces »Ulysses« ist ein viel gerühmtes, dabei wenig gelesenes Meisterwerk. Die in ihm beschriebene Odyssee der Hauptfigur durch Dublin dauert genau einen Tag, nämlich den 16. Juni 1904. Natürlich braucht man wesentlich länger, das Buch zu lesen. Eine Echtzeitumsetzung bieten SWR und DLF. Am Samstag, dem diesjährigen Bloomsday, wird die gigantische Koproduktion »Ulysses« auf SWR 2 in voller Länge ausgestrahlt. Die 18 Hörspiel-Kapitel dauern etwa 22 Stunden. Beginn ist acht Uhr. Der DLF steigt ab 20 Uhr ein. Die Bedeutung des Romans kann kaum überschätzt werden. Das Individuum tritt in der Literatur erst mit Joyces Bloom klar umrissen und doch ungreifbar entfremdet zu Tage.
Weil Joyce in diesem Jahr 130 geworden wäre, sendet rbbKultur heute, 22 Uhr, Grace Yoons Bearbeitung eines »Anna Livia Plurabelle« überschriebenen Kapitels aus seinem Roman »Finnegans Wake«, während WDR 3 morgen ab 18 Uhr den gut achtstündigen »Dubliner« Zyklus in einer sehr zeitnahen Übernahme vom BR bringt. Knapp 20 Prozent der Studierenden sind grundsätzlich bereit, leistungssteigernde Substanzen einzunehmen – wie sieht es wohl bei den Radiohörern aus?

Ödön von Horvath kämpfte in der Weimarer Republik gegen den faschistischen Zeitgeist an. Mittel seiner Wahl war die Literatur. Horvaths Kampf verdanken wir detailgetreue Porträts von Kleinbürgern und Mitläufern. In den »Geschichten vom Fräulein Pollinger« (Sa., 15 Uhr, BR 2) wohnt man dem Abstieg der jungen Agnes Pollinger bei, der infolge der schlechten Wirtschafslage gekündigt wurde.

Statt sich düsteren Zukunftsvisionen hinzugeben, sollte man Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Wandels zum Besseren ins Auge fassen. Das ist nicht nur die Grundaussage von Dietmar Daths und Barbara Kirchners Text »Der Implex«. Auch Christoph Buggert scheint in diese Richtung zu zielen, wenn er über sein Fantasy-Hörspiel »Mein Sommernachtstraum« (WDR 1982) sagt: »Wer nur auf das Falsche starrt, verlängert es unwillentlich auch.« (So., 14 Uhr, hr 2)

Marianne Sägebrecht ist mal wieder »out of Rosenheim«. Sie macht einen Abstecher zu SWR 2, ist dort mit Felix von Manteuffel und anderen in »Kein schöner Land« zu hören (So., 18.20 Uhr). Einen Abstecher in durchgängig mit tranceinduzierendem Sound unterlegte und von Flüsterstimmen getragene Hörspielgefilde bietet das neue Stück von Ulrike Haage und Leonora Carrington »Alle Vögel fliegen hoch« (So., 20 Uhr, BR 2).

Wie hält man die Mordstatistik niedrig? Kriminalrat Kreuzeder setzt an der Wurzel des Übels an. Die Definition von Mord ist ja schließlich völlig willkürlich. Und wenn Neudefinitionen nichts mehr helfen, schafft er die Leiche notfalls auch aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich. »Kreuzeder und der Tote im Wald« (Mo., 21.33 Uhr, Dkultur) ist der dritte Fall des ungewöhnlichen Ermittlers, der nur mit Obstler und Weizenbier funktioniert. Das musikalische Thema der Reihe erinnert wunderbar elegant an Neil Youngs »Helpless« oder den Refrain der »Wild Horses« von den Rolling Stones – so schlägt man auf jeden Fall schon mal der GEMA ein Schnippchen.

Rafik Will, 15.04.2012 junge Welt

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