Achssprünge multiperspektivischen Erzählens

Das 7. Berliner Hörspielfestival

Am 24. April ging im Theaterdiscounter das siebte Berliner Hörspielfestivals zu Ende. Das dreitägige Festival des freien Hörspiels präsentierte insgesamt 42 Hörspiele aus mehr als 160 Einreichungen für die ironisch betitelten Wettbewerbe um das lange und das kurze brennende Mikro sowie das glühende Knopfmikro und den MikroFlitzer, die mit wertvollem Aufnahme-Equipment dotiert sind.

Gewinner des Jurypreises „Das lange brennende  Mikro“ war das 42-minütige Hörspiel „Draussen im Watt leg ich dich hin“ des Schweizer Dramatikers Dominik Busch. Die Jury (die Schriftstellerin und Hörspielautorin Elke Heinemann, der Komponist und Featureautor Andreas Bick, der Hörspielmacher und  Vorjahresgewinner Tom Heithoff, sowie MK-Autor Jochen Meißner [der Autor dieses Blogs], lobte, dass sich das Stück mit der unaufhaltsamen Dramaturgie einer Flutwelle entwickelt, die zunächst kaum die Oberfläche kräuselt, bevor sie über die Figuren hereinbricht. In Buschs Hörspiel geht es um die Geschichte einer Frau, die an einer seltenen Krebsart leidet und deren Mann ihr durch einen erweiterten Selbstmord im Wattenmeer die Schmerzen ersparen will. Als er jedoch feststellt, dass seine Frau schwanger ist, versucht er sie im letzten Moment zu retten. Das gelingt in einer ebenso hochdramatischen wie hochkomischen Szene aber nur, weil ein gescheiterter Umweltaktivist sich ebenfalls das Wattenmeer für seinen Freitod ausgesucht hat.

Fast zeitgleich zum Festival wurde das Stück am Luzerner Theater, wo Dominik Busch Hausautor ist, als Live-Hörspiel aufgeführt. In Skype-Interview erklärte Busch seine Schreibweise als literarisches Äquivalent zum Tiki-Taka-Kurzpassspiel des spanischen Fußballs. Zusammen mit der Regisseurin Sophie Stierle wurden die Texte auf die Figuren aufgeteilt, so dass die Schauspieler Anna-Katharina Müller, Adrian Furrer und Urs Stämpfli im schnellen Wechsel zwischen dem Du der Ansprache, dem Du des Selbstgesprächs und dem Du des Gesprächs hin und her springen. Die Jury lobte die erzähltechnische Raffinesse des Stücks mit ihren Achssprüngen multiperspektivischen Erzählens.

Der Publikumspreis „Das kurze brennende Mikro“ für  Hörspiele mit einer Länge von 5 bis 20 Minuten ging an „Verschwendung“ der Autorin Antje Meichsner, die in 10:22 Minuten „mit einer Multitude aus Stimmen“ den neoliberalen Zwang zur permanenten Selbstoptimierung in Beruf und Freizeit aufs Korn nimmt. Motto: „Die schönen Bücher über die tiefen Themen ungelesen rumliegen lassen.“

Das glühende Knopfmikro“ für Hörspiele bis zu einer Länge von 5 Minuten, ebenfalls ein Publikumspreis, ging an das Duo Christian Berner und Frank Schültge für ihre satirische  Paartherapeutengeschichte „Annette, Rolf und der Gesprächsbedarf“. Die komische Wirkung der genauen Parodie des Genres „Therapeutisches Beziehungsgespräch“  wurde durch den Einsatz von synthetischen Stimmen erreicht, die dem ganze auch eine etwas gruselige Note verliehen. Das zweitplatzierte Stück „s/t“ des österreichischen Schriftstellers, Performer und  selbsternannten „Mikrophönix“ bestand aus einer einzigen langen Absage in der der Autor nicht nur für Stimme, Regie, Dramaturgie, Produktions- und Aufnahmeleitung sowie alles andere verantwortlich zeichnete, sondern sich auch des pansolipsistischen Audioautismus, der Selbstausbeutung und des Diebstahls geistigen Eigentums bezichtigte.

Der vierte Wettbewerb „Der MikroFlitzer“ war an einige Bedingungen geknüpft: 14 Tage Zeit für ein Stück mit einer Länge von maximal 60 Sekunden, das eine Schlagzeile der Titelseite der taz vom 1. April enthalten musste. Gewinnerin war Niki Matita mit ihrem Stück „Lux“ – die Miniaturgeschichte eines bettelnden Zeitungsverkäufers in der U-Bahnlinie U2.

In den Autorengesprächen, die im Anschluss an jede Vorführung stattfanden, merkte man einmal mehr, dass man nur hört, was man weiß. Wer hätte gedacht, dass in dem musikalisch-essayistischen Stück „Structures of Nature“ von Martin Gerigk die Regentropfen eigentlich Celloklänge waren. Und wer kann schon mit dem Begriff „Malkontentismus“ in Armin Chodzinskis Hörspiel „Es ist der Alltag“ etwas anfangen.  Der Terminus stammt aus Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ und bezeichnet eine psychologische Diagnose, der sich Thomas Mann Tag für Tag durch einen penibel getakteten Arbeitsablauf entzog. Seine Tochter Monika beschreibt das detailliert in einem O-Ton-Dokument, wird aber schließlich von einem Sprechchor übertönt: „Nous sommes la Malkontentista!“ Die Veranstalter jedenfalls hatten keinen Grund mit der siebten Auflage ihres Festivals unzufrieden zu sein.

Medienkorrespondenz 10/2016

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