Wie geht politisches Hörspiel heute?

Seit mit der ersten Demokratisierung der Produktionsmittel im Radio Ende der 60er Jahre hat sich das Hörspiel auch auf dem Gebiet der politischen Willensbildung engagiert. Die Tonbandgeräte wurden leichter und mobiler, die Kompaktkassette wurde eingeführt und das Bewusstsein für so etwas wie Gegenöffentlichkeit wuchs – ironischerweise oft innerhalb der Sendeanstalten. Auch wenn Ludwig Harigs O-Ton-Collage „Staatsbegräbnis“ vom Intendanten des Saarländischen Rundfunks verboten wurde. Wie aber geht politisches Hörspiel heute? Drei Fallbeispiele von Kathrin Röggla, Milo Rau und Edgar Lipki. Weiterlesen auf dem SWR Dokublog.

Drei Fallbeispiele

Die Schriftstellerin und Hörspielautorin Kathrin Röggla gehört zu den recherchierenden Autoren, deren Texte aus einer direkten Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand hervorgehen. Ihr von Barbara Schäfer als Hörspiel inszenierter Roman „wir schlafen nicht“ (BR 2004) lieferte Einblicke in die Verfasstheit der Unternehmensberatungsbranche und der Anhänger der „McKinsey-Religion“, die von ihrem eigenen Effizienzdenken aufgefressen wurden. In ihrem aktuellen Hörspiel „Lärmkrieg“ (Kritik hier) einer Auftragsarbeit für das Schauspiel Leipzig, von Leopold von Verschuer für das Radio inszeniert, hat sich Kathrin Röggla mit den Opfern des Fluglärms in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens beteiligt.

Die Perspektive ist allerdings düster. Nicht weil man auf beinharten Blockaden der Betreiber träfe, sondern weil man von den umarmt wird. Die Professionalisierung der Kommunikation führt dazu, dass man sich für ein paar schöne Bilder auch als Flughafenbetreiber bei den Protestlern sehen lässt. Das demonstriert Offenheit und Dialogfähigkeit, beziehungsweise die Simulation von beidem – und ein paar schöne Bilder für die Presse fallen dabei auch noch ab. Umgekehrt professionalisiert sich auch die Protest-Szene und denkt sich ein paar schöne Werbespots aus, mit der man die Öffentlichkeit auf seine Seite ziehen will. Denn sowohl die institutionellen Wege über die Politik vom Landrat bis nach Brüssel erweisen sich als anstrengend und erzielt gegen die finanzkräftige Lobby bestenfalls Teilerfolge. Den Namen für diese Gesellschaftsformation hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch als „postdemokratisch“ beschrieben – oberflächlich nach demokratischen Regeln organisiert, werden die wirklich wichtigen Entscheidungen an eine Expertokratie delegiert, die zum Teil schon ihre Schreibtische in den Ministerien hat.

Forderten Kathrin Rögglas Gesprächspartner aus der Beraterbranche vor zehn Jahren noch von ihr, der Autorin, eine Außenperspektive und Gegenentwürfe erwarteten. Eine einigermaßen absurde Forderung, ist doch auch Kathrin Röggla sich den Marktgesetzen des Literaturbetriebs ausgesetzt. „wir schlafen nicht“ war konsequent in indirekter Rede gehalten, um nicht in einem platten Realismus zu verfallen, sondern das Abbildungsverhältnis auszustellen. „Lärmkrieg“ spielt fast ausschließlich auf der Metaebene der Inszenierung des Themas / des Konflikts, der den Gesetzen der Medienaufmerksamkeit folgt. Wenn das Thema denn überhaupt auf die Agenda der öffentlichen Aufmerksamkeit kommt. Und selbst wenn man dort erfolgreich ist, sind es die Strategien der PR-Agenturen, die der Sache den richtigen „Spin“ geben. Und auch wenn am Schluss des Hörspiels ein Flughafenmanager gewalttätig angegangen wird, ändert das nichts an den Verhältnissen. Die postdemokratische Struktur der Gesellschaft spiegelt sich ästhetisch in einer postdramatische Struktur des Textes, der sich außerdem noch bewusst ist selbst Teil der Verwertungskette des Protestes zu sein. Kathrin Röggla stellt fest: „Mir scheint, dass motivisch sich die Achse Handlungsfähigkeit vs. Ohnmachtsgefühl am stärksten anbietet. Welche Form des politischen Handelns ist gesellschaftlich noch möglich? Wie kann man die erfahrene Ohnmacht wieder in Handlungsoptionen ummünzen?“

Wie aber mit einem prädemokratischen System umgehen, in welchem dem Radio noch als Verlautbarungsmedium geglaubt wird und das Handlungsanweisungen erteilen kann, die auch befolgt werden. Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) war so ein wirkmächtiger Sender, der die coole westliche Musik spielte und locker-flockig zum Völkermord aufrief und dazu beitrug, dass in Ruanda anno 1994 binnen gut 100 Tagen 75 % der Tutsi-Minderheit ausgerottet wurden. Der Theater- und Filmregisseur Milo Rau, hat unter dem Titel „Hate Radio“ (Kritik hier) auf der Theaterbühne mit Opfern der Gewalt das Programm von RTLM nachgestellt und in der Bearbeitung und Regie von Milena Kipfmüller ist das Stück mit deutschen Radiomoderatoren inszeniert worden. Hier geht es also nicht wie bei Kathrin Röggla um Abbildungsverhältnisse und ihre künstlerische Formung, sondern um Reenactment, um eine Wiederaufführung.

Beim WDR war das Stück nach der Ausstrahlung nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr herunterladbar – aus Jugendschutzgründen. Es kann in der Tat verstörend sein, wenn man in der befriedeten Bundesrepublik Töne hört, die zunächst mal harmlos daherkommen und sich immer mehr in den Hass hineinzusteigern. Nicht ohne gegenaufklärerisch das vernünftige Denken selbst zu sabotieren und mit Pseudo-Autoritäten wie Machiavelli oder Robespierre den Völkermord als alternativlose Selbstverteidigungstat zu legitimieren. Die Tonlage klingt seltsam vertraut, denn sich gegen die Überfremdung und die Diktatur eines meinungsmächtigen Minderheitskartell wehren: „Das wird man doch wohl noch tuen dürfen.“ Natürlich ist das Reenactment in Rau/Kipfmüllers Inszenierung nichts authentisches, sondern ein Spielen auf der Klaviatur des Medienmöglichen.

 

Dass Edgar Lipki aktuelles Stück „Feedback Nigger Radio Reservation“, (Kritik hier) auch mit Afrika zu tun hat, ist purer Zufall, dass es mit der medientechnologischen Begriff des Feedbacks arbeitet ist es nicht. Die Wikipedia-Definition von Feedback liefert das Hörspiel denn auch gleich mit: „Feedback ist ein Mechanismus in signalverstärkenden oder informationsverarbeitenden Systemen, bei dem ein Teil der Ausgangsgröße direkt oder in modifizierter Form auf den Eingang des Systems zurückgeführt wird“, und das ist natürlich mehr als eine technische Beschreibung, sondern eine Metapher für rückgekoppelte, politische Prozesse. Wobei es positive (verstärkende) und negative (auslöschende) Rückkopplungen gibt. „Wie lange hält welche Soziologie in welcher Fauna?“ lässt Lipki in seinem Stück fragen und lenkt damit die Aufmerksamkeit von der direkt politischen Ebene – dem fast vergessenen Völkermord an den Hereros durch deutsche Kolonialtruppen 1904, die Flüchtlingsströme aus Afrika – auf die analytische Ebene. Denn es geht auch um eine Mentalitätsfrage der Linken, nämlich darum ob: „afrika unser“ das „letzte naturschutzgebiet kritischer theorie“ ist, „der neger ist der böse weiße geist. austreibung des negers durch die erfindung des negers“, oder ob derartige Denkfiguren nicht in einem systemtheoretisch (oder meinetwegen: kybernetischen) Theorierahmen besser beschreibbar sind.

Und weil in der Kunst der Text immer klüger ist als der Autor, kann, nein muss man bei Lipkis Stücken über sie hinaus denken. Denn zustimmen mag man ihm nicht immer. Aber genau deshalb zeigen sie was das deutsche Kulturradio kann, wenn es will: relevant, provokativ und unterhaltsam zugleich. Seit Hans Flesch 1924 das Hörspiel als die Zaubermaschine des Radios installiert hat, sind es Stück wie die von Edgar Lipki, die seine Existenz rechtfertigen. Und wenn nebenbei noch das Radio in seiner denkfaulen und saturierten Form sein Fett wegkriegt, dann freut man sich:

das ist doch unser radio. das haben wir doch erfunden. hitler. orson welles. die lange strecke. ganze städte haben wir entvölkert, weil die leute uns zugehört haben. wir können doch jetzt nicht nur schnipsel bringen. ohne das man einen bezug kriegt zu uns. wir brauchen doch eine anbindung an den hörer. unser radio ist doch sein radio. ich krieg doch tausend briefe, daß das gut ist, daß wir weiter machen sollen.

Nicht die einizige ironisch/sarkatische Stelle aus Lipkis rückgekoppelten Neger-Radio-Reservat, das natürlich auch ein Reservat für seine eigenen Stücke ist.

Jochen Meißner

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