Wie alles begann

Radiovorschau, 7. bis 14. Juni 2012

Das »Neue Hörspiel« ist älter als allgemein angenommen. Als erstes Stück dieser Gattung gilt »Fünf Mann Menschen« (SWF 1968) von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Fast zehn Jahre früher brach der Schriftsteller und Publizist Hans G Helms mit dem überholten Pathos des »Alten Hörspiels«, bediente sich dabei auch Neuer Musik und konkreter Poesie. Helms’ wegweisendes »Fa:m’ Ahniesgwow« entstand 1959 in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Gottfried Michael Koenig in den damals hochmodernen Tonstudios des WDR. Am Freitag ist es ab 23 Uhr wieder einmal auf WDR 3 zu hören. 36 Sprachen finden Verwendung, von Dänisch bis Jiddisch, und doch ist das Stück weit entfernt vom antirationalen Sprachspiel des »Neuen Hörspiels« nach seiner Etablierung. Helms lag daran, die Grundlage zur Kommunikation nicht zu verlieren. »Das setzt voraus, daß man eben nicht nur phonetisch mit diesen Materialien umgeht, sondern ebenso stark semantisch und grammatisch« (Nachruf auf Helms von Stefan Fricke, jW vom 14. März).

Ulrich Mühe wurde erst als Stasi-Hauptmann international bekannt. Das war selbstverständlich nur Fiktion. In dem Hörspiel »Germania III« nach der gleichnamigen Szenenfolge aus dem Nachlaß Heiner Müllers spricht Mühe sämtliche Rollen, auch Hitler und Stalin (Sa., 20.05 DLF). Das »Hörspiel des Monats Mai ’96« war ein Coup des DLF. Seine Ursendung ging Theateraufführungen in Berlin, Wien oder Hamburg voraus.

Die Radioretter verdienen ihren Namen! Der Initiative ist etwa die Rettung des Musik­features unter Redaktion von Dagmar Töpfer zu verdanken. Diesmal hat Stefan Siegert den jungen Multiinstrumentalisten und Sänger Nicholas Achten im Porträt. Der sympathische Belgier erläutert im Interview und führt auch praktisch vor, wie Musik jenseits eindeutig festgelegter Notationssysteme klingen kann. Er widmet sich der Musik des 17. Jahrhunderts und kommt dafür mit erfreulich wenig »Hallelujah!« aus (So., 15 Uhr, WDR 3). Zur Einstimmung auf den »Bloomsday« am 16. Juni bringt SWR 2 »Stephen Daedalus« von James Joyce (So., 18.20 Uhr). Am Montag läßt der BR seinem Anfang des Jahres gesendeten Zweiteiler über die Geschwister Scholl eine Geschichte des Widerstandskämpfers Johann Georg Elser folgen (»Der Zitherspieler« von Georg Glasl und Sabine Reithmeier, 20 Uhr, BR 2).

Christoph Buggert hat nicht nur Gerhard Polt fürs Radio entdeckt, er ist auch der Vater des O-Ton-Hörspiels. Seine Neuproduktion »Domino« (Mo., 22 Uhr, MDR Figaro) ist im Speckgürtel einer Metropole angesiedelt. Hier brodelt ein Mix aus Fremdenfeindlichkeit, sexueller Gewalt und politischen Ränkespielen. In einer Reise durch die Köpfe der Figuren werden deren Gedanken zu einem vielschichtigen Domino.

Rafik Will, 07.06.12 junge Welt

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