Wider die Weltverschmutzung

Till Müller-Klug: Sprachlabor Babylon

WDR 5, Di 17.05.2011, 20.05 bis 20.55 Uhr

Als „Sprachschöpferin der Prominenzklasse A minus“ hat Lucinda Duval (Lavinia Wilson) in der virtuellen Welt eines Facebook-artigen Kontaktkarussells so ihre Probleme: nur 41 Freunde aber 2687 Feinde. Kein Wunder, denn ihre Firma, das „Sprachlabor Babylon“, entwickelt für die Initiative Neue Sprachwirtschaft (INS) neue Wörter und ganze Fach- und Geschäftssprachen mit selbstgenerierender Grammatik und automatischer Wortschatzaktualisierung. All das kann man sich per „Blauwellensender“ direkt ins Sprachzentrum des Gehirns laden – wenn man es denn bezahlen kann. Denn parallel zum Aufschwung der Sprachwirtschaft wird der Grundwortschatz permanent gekürzt.

Eine öffentliche Sprachversorgung mit 30 000 subventionierten Wörtern kann man sich nur leisten, wenn die Sprachwirtschaft wächst – sagt jedenfalls Conny Ziegler (Maren Kroymann) von der INS. Deshalb lässt sie sich vom Sprachlabor Babylon auch schöne neue Tarnwörter für unschöne Sachverhalte entwickeln, zum Beispiel „Neueinstellungsvorbereitung“ für die semantisch negativ belastete „Entlassung“ bzw. „Freisetzung“. „Wortschatzkürzung“ heißt im Neusprech „Wortschatzwachstum“, denn für ein mit großem Aplomb herausgegebenes neues Wort (hier „Frühstücksglück“) werden zehn andere gestrichen (wie in diesem Fall „Griffel“, „Betriebsferien“, Redefreiheit“, „Derwisch“ etc.) und beim Versuch, sie auszusprechen, weggebeept – es sei denn, man zahlt sie extra mit seinen Sprachkreditpunkten.

In Till Müller-Klugs knapp 50-minütigem Hörspiel geht es also hoch her. Während Lucinda Duval mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz namens Syntacticus (Markus Meyer) und ein paar nützlichen Tools wie Adjektiv-Isolatoren, Infinitiv-Eliminatoren und Wortkombinationskondensatoren „aufregende Akzente mit kühnen grammatikalischen Arrangements und modischen Neologismen“ setzt, wächst auch der Widerstand der sogenannten „Sparsprachler“ gegen die „Wortreichen“. Max (Daniel Wiemer) ein Slam-Poet aus dem Kontaktkarussell, entpuppt sich als Sprachvirus, der für einen „bedingungslosen Grundwortschatz“ eintritt und am Ende Syntacticus übernimmt – aber so richtig gut geht es nicht aus.

In den von Regisseur Thomas Wolfertz rasant geschnittenen Dialogen, die durch Ekkehard Ehlers’ wunderbar abgehackten Elektro-Soundtrack noch beschleunigt werden, erzählt Till Müller-Klug auf höchst unterhaltsame und intelligente Weise davon, wie literarische Sprachproduktion funktioniert, und vor allem, dass Sprache politisch ist. Das wissen nicht nur die „Weltverschmutzer“ (Frédéric Beigbeder, „39,90“) in den Werbe- und Marketingagenturen, sondern das weiß auch die Gedankenpolizei der Political Correctness. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, wird Ludwig Wittgenstein zitiert, und plötzlich wird klar, worum es der INS, die man unschwer als Abwandlung der real existierenden „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ – einer Propagandaagentur des bundesdeutschen Neoliberalismus – erkennen kann, eigentlich geht: um immer engere Grenzziehungen und damit letztlich um Freiheitsberaubung.

„Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn […] die Worte fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich“, sagte Heiner Müller. Auch Till Müller-Klug weiß, dass die Worte das Entscheidende sind und die Fülle der Subtexte, die durch sein sprachmächtiges Hörspiel gehen, macht es – und hier schalten wir den Superlativ-Eliminator aus – nicht nur zu seinem bislang besten, sondern auch zu einem der anregendsten Sprachspiele der gegenwärtigen Hörspielszene überhaupt.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 20/2011

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